Holger Karsten Schmidt: Die Toten von Marnow / Ein Fall für Lona Mendt und Frank Elling, Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2020, 478 Seiten, €16,00, 978-3-462-04794-3
„Vor dem Gesetz sind alle gleich.“
„Lass den Scheiß, Elling.“
Die beiden sehr gegensätzlichen Kriminalkommissare, die in Rostock ihren Dienst verrichten, sind absolute Unikate.
Frank Elling ist in den Vierzigern, etwas untersetzt und stolz auf sein Eigenheim im Ringelrankenweg mit demnächst etwas zu großem Pool mit allem Schnickschnack. Eine dumme Angewohnheit von Elling ist, dass er es nicht lassen kann, immer wieder Euro in DM umzurechnen und wenn ihm eines heilig ist, dann sein wohlverdienter Feierabend nebst Bierchen. Zu gern grillt er mit den Nachbarn im kleinen Garten und holt auch seine demente Mutter aus dem Heim nach Hause, fährt einen alten Volvo und ist immer noch in seine Frau Susanne verliebt, die als Journalistin arbeitet. Tochter Mareike hat ihr Abi in der Tasche und bereit zum Abflug, allerdings nur mit Kleinwagen. Und das ist der wunde Punkt im glücklichen Leben des Frank Elling, der absolut belastete Überziehungskredit. Das liebe Geld wird ihm auch beim neuen Fall so einige Probleme einbringen.
Lona Mendt dagegen ist eine charismatische, attraktive, blonde wie kühle Frau, die aus Hannover stammt. Warum sie sich nach Rostock hat versetzen lassen, fragen sich alle Kollegen. Lona liebt ihr schnelles Motorrad und sie wohnt in einem Wohnwagen, mit dem sie jederzeit den Ort verlassen kann. Im Vergleich zu ihren Kollegen ist sie wirklich frei. Ob sie glücklich ist, bleibt dahingestellt. Niemand weiß etwas aus ihrem Privatleben und Elling ist klug genug, nicht zu fragen. Diese beiden Ermittler haben trotz aller Gegensätze schnell ein gutes Verhältnis entwickelt und, auch wenn die Kollegen es nicht glauben, verstehen sich die beiden per Augenkontakt, per stummer Übereinstimmung und sind schnell einer Meinung. So seriös wie die beiden Polizisten jedoch wirken, sind sie im wahren Leben überhaupt nicht, und hier beginnt die Geschichte spannend zu werden.
Zeit der Handlung, der glutheiße Sommer 2003: Alles beginnt mit einem grausigen Mord in Rostock. Dem unbedeutenden Sozialhilfeempfänger Alexander Beck, einst Leutnant des MfS, wird gekonnt die Kehle durchgeschnitten. Sein Mörder hat ihn vor der Tat gefoltert als hätte er etwas gesucht oder wollte eine Information. Seltsamerweise hat ihn, und darauf kommt Lona, ein anderer Täter später aufgehängt und Fotos von der Pinnwand entfernt. Ein zweiter Mann stirbt auf die gleiche Weise, allerdings ein dementer alter Herr, einst Forschungsleiter bei einem Pharmazieunternehmen. Und ein dritter und vierter Mord wird folgen und bei allen zeigt der Täter die gleiche Handschrift. Doch was haben alle Männer gemeinsam, wo liegt das Motiv?
Und warum grätscht das LKA mit diesem widerlichen Typen Stefan Krohn, ebenfalls einst bei der Stasi, dazwischen.
Viele Wege führen die Kommissare nach Marnow, einem Ort in der Mecklenburgischen Seenplatte. Hier hielt sich Alexander Beck in den Sommern auf. Hier hatte er Kontakt zu einem nicht mehr praktizierenden Arzt, hier ist ein Klinikum, dass die Tochter des Arztes leitet.
Lona jedenfalls zieht mit ihrem Wohnwagen nach Marnow und wird von dem sich für allmächtig haltenden Krohn sexuell missbraucht. Lona kann sich aus ihrem Wohnwagen befreien und nimmt Rache. Sie schießt auf ihren Peiniger zweimal. Elling holt Hilfe und schützt sie davor, zur Mörderin zu werden. Beide denken sich ein einigermaßen glaubwürdiges Szenario aus, warum Krohn sich mit Lonas Waffe zweimal verletzt. Sehr wage. Aber auch Elling kommt noch vor Lona in arge Bedrängnis. Er lässt sich auf eine Frau ein, die ihn gegen entsprechende Bezahlung bittet, die Untersuchung im Fall Beck einschlafen zu lassen. Elling hat keine Ahnung, mit wem er es zu tun hat. Aber sein eigener finanzieller Druck lässt ihn in die Falle tappen. Da er bei der Bestechung gefilmt wurde, und auch das LKA, also Krohn, Bescheid weiß, muss er etwas unternehmen. Loyal decken sich Lona und Elling in jeder brenzligen Situation, auch wenn sie noch so hanebüchen ist.
Und dann noch der private Stress. Ellings Frau scheint das kleinbürgerliche Leben an seiner Seite doch nicht so zu genießen, wie er meint. Sie hat eine Affäre mit dem Kandidaten für den Oberbürgermeisterposten. Elling muss sich nun entscheiden, will er seine Ehe retten oder doch lieber neu anfangen.
Nach und nach wird klar, der mehrfache Mörder will Rache, Rache für ein Vergehen noch aus DDR-Zeiten, dass in Marnow seinen Ursprung hat und in das ein hoher Beamter des Ministeriums, einst ebenfalls beim MfS, verwickelt ist.
Klar ist, diese Romanhandlung ist zwar erfunden, aber ihr liegt ein realer, unglaublicher Vorgang in der DDR zu Grunde.
Holger Karsten Schmidt kann fesselnd schreiben und sicher liegt das auch an den Mühen der Ebenen, die er seinen Figuren nicht erspart. Der Plot ist übersichtlich und stellenweise ergreifend und ab und zu sogar komisch.
Eine nächster Fall muss unbedingt folgen!