David Lagercrantz: Das Bild der Toten, Aus dem Schwedischen von Susanne Dahmann, Heyne Verlag, München 2024, 432 Seiten, €24,00, 978-3-453-27330-6
„Offenbar vermochte der Professor aus ein paar Fußspuren in der Asche eine ganz Welt herauszulesen – diejenigen, die dabei gewesen waren, sprachen jedenfalls heute noch davon.“
Der ermittelnde und sehr unsympathische Kriminalinspektor Kaj Lindroos hat 2004 wenig Lust, sich erneut mit einem Fall zu beschäftigen, der eigentlich vor vierzehn Jahren seinen Abschluss fand. Doch Samuel Lidman ist da ganz anderer Meinung. Ihm wurde ein Foto gezeigt, auf dem ziemlich deutlich seine angeblich tote Ehefrau, Claire Lidman, in einem schönen, roten Mantel durch die Straßen Venedigs läuft. Gut, sie ist nicht ganz genau zu erkennen, aber sie könnte es wirklich sein. Auch der instabile, so feinnervige Professor Hans Rekke, Psychologe und Pianist und Polizeiassistentin Micaela Vargas sind nicht abgeneigt, Samuel Lidman Glauben zu schenken und sich näher mit dem Cold Chase, der ja eigentlich keiner ist, zu beschäftigen. Immerhin wurde die verbrannte Leiche von Claire Lidman in San Sebastian eindeutig identifiziert. Oder doch nicht? Als Chefanalystin einer großen Schwedischen Bank hatte Claire Lidman eine steile Karriere hingelegt und war ein Günstling des allseits gefürchteten Ungarn Gabor Morovia, Mathegenie, Großunternehmer und vernetzt mit allen international wichtigen Personen bis hin zu Putin, der aber erst machtpolitisch aufsteigen wird. Auch die Brüder Magnus und Hans Rekke kennen Gabor seit ihrer Kindheit, und sie wissen mehr als ihnen lieb ist von seiner dunklen Seite. Claire Lidman hat sich jedoch mit Gabor, der nie vor physischer und psychischer Gewalt zurückschreckt, angelegt und das war sicher ein großer Fehler aus dem ungeahnte Konsequenzen folgten.
Multiperspektivisch erzählt David Lagercrantz nun von den Recherchen der beiden Ermittler Rekke und Vargas im beruflichen wie privaten Umfeld von Claire Lidman. Aber es geht auch um Rückblicke in die Vergangenheit, insbesondere Rekkes Erinnerungen an seine einstige große Liebe Ida Aminoff, die angeblich durch übermäßigen Drogenkonsum früh ums Leben kam. Und plötzlich steht eine Vertraute von Gabor vor Rekkes Tür und übergibt ihm die extrem teure Halskette, die Hans Rekke Ida einst geschenkt hatte. War es nun eine Überdosis oder doch Mord? Weiterhin rückt Julia, Rekkes neunzehnjährige Tochter Julia ins Blickfeld. Uneins mit ihrem Vater sucht sie nach Zuwendungen und lässt sich auf einen Mann ein, den Micaela Vargas zu gut kennt. Es ist ihr Bruder und Drogenhändler Lucas, der Minderjährige zum Verkauf von Drogen auf der Straße verführt und nötigt. Sie ist ihm auf der Spur, hat aber nicht genug Beweise, Und sie muss sich mit ihrer engstirnigen Mutter auseinandersetzen.
In einer seltsamen Künstlichkeit agieren alle Figuren, von denen es reichlich gibt, in diesem Roman auf zu vielen Baustellen. Sie sind zum Teil abgrundtief böse wie brutal, dabei undurchsichtige Gestalten, die ihre Augen und Ohren überall haben. Sie sind vermögend und clever. Sie spielen außergewöhnlich gut Schach und bewegen sich auf einem internationalen Parkett mit Politikern und Bankern. Von ihrer Genialität wird immer wieder gesprochen, aber sie spiegelt sich nicht in der dramatischen Handlungsführung wieder.
Mag Claire Lidman die Seiten gewechselt haben und nun durch ihren vorgetäuschten Tod in einem Schutzprogramm untergetaucht sein, Gabor findet sie überall.
Hans Rekke und Micaela Vargas erkennen, was für ein perfides Spiel Lucas mit den Gefühlen von Julia treibt und was hinter Claires Flucht in Vendig wirklich steckt.
Leider bleiben alle Figuren holzschnittartig und die gesamte Handlung artifiziell konstruiert und blutlos. Möglich, dass die Vorgängerbände besser geschrieben waren, dieser ist kaum zu empfehlen.