Andrea Heinisch: Henriette lächelt, Picus Verlag, Wien 2023, 208 Seiten, €22,00, 978-3-7117-2142-6
„Henriette isst. Man kann halt nicht alles haben, sagt die Mutter. Ich will aber alles haben, denkt Henriette.“
Immer wenn es schwierig ist, lächelt Henriette. Sie lehnt sich nicht auf, nicht gegen ihren Arbeitgeber, der glaubt, in der Corona – Zeit muss er der erfahrenen Henriette einen Mitarbeiter online an die Seite stellen und auch nicht, wenn ihre Mutter wiedermal voller Sorgen um die Tochter ihre Tiraden loslässt. Henriettes Mutter kauft der Tochter sogar Kleidung im Internet und sie überwacht die Tochter, die unter ihr in der Wohnung wohnt. Doch warum benötigt Henriette Hilfe?
„Die Mutter hat sich an Henriettes Fersen geheftet und redet wie üblich ohne Unterlass. Nicht einmal Richard Gere könnte diese Frau ertragen, und der ist Buddhist, denkt Henriette, während die Mutter vor sich hinklagt.“
Henriette wiegt 190 Kilogramm und am Ende des Romans werden es coronabedingt noch 5 Kilogramm mehr sein.
Andrea Heinisch erzählt zwar aus der dritten Person, kommt ihre Hauptfigur aber doch sehr nah. Henriette isst ungezügelt und am liebsten ungesundes Knabberzeug, Süßes und Schokolade. Sie hat keine Figur und ihre T-Shirts gleichen Zelten. Sie selbst betrachtet sich mit sehr viel Ironie und hat doch den Punkt einer möglichen Veränderung ihres Lebensstiles verpasst. Hinzu kommen die Maßnahmen angesichts des Virus und hier scheint Henriette die einzige Person zu sein, die mit den Einschränkungen total klarkommt. Ihre Mutter kann sie nicht mehr zu Internistin schleppen und alle gehen auf Abstand. Alles, was man benötigt, kann man im Internet bestellen. Plötzlich ist die sympathische Henriette nicht mehr verpflichtet, die Wohnung zu verlassen. Als sie dann mit Martin online zusammenarbeitet, beginnt ihre Fantasie zu blühen. Zu gern sieht sie den Mann mit den kaktusgrünen Augen an und träumt. Durch die Einschränkungen hört Henriette auch viel mehr von ihren Nachbarn, insbesondere von der hochschwangeren Sonja, ihrem aggressiven Ehemann und ihren drei Kindern. Immer mehr verfangen sich Henriettes Tagträume mit Martin, der eher nüchtern und desinteressiert seine Kollegin betrachtet. Pubertär nennt die Mutter die Tochter, die sich sogar einen Screenshot von Martin ins Schlafzimmer hängt.
Wie ergeht es einem Menschen, der niemanden kränken will und wie ein Kind behandelt wird? Wann ist der Punkt erreicht, bei dem man sein Suchtverhalten nicht mehr in den Griff bekommt?
Henriette freundet sich nach dem Unfalltod der Mutter mit Sonja an. Sie hat nach der Geburt ihrer Tochter begonnen, Henriettes Wohnung zu säubern. Nie äußert Sonja ein Wort über Henriettes Aussehen. Sie tauschen sich aus, auch als Sonja ihren Mann endlich vor die Tür setzt.
Auch Martin hat neue berufliche Pläne und weiht Henriette ein.
Ist der Tod der Mutter für die Tochter die Befreiung und die Chance auf ein Leben ohne permanente Begutachtung?
Andrea Heinisch erzählt mitfühlend und realitätsnah von einer Frau, die beruflich souverän klarkommt, doch in ihrem privaten Leben sich eingigelt hat und keinen Ausweg nach draußen findet.