Ahmet Ümit: Das Land der verlorenen Götter, Aus dem Türkischen von Sabine Adatepe, btb Verlag, München 2024, 576 Seiten, €18,00, 978-3-442-77387-9
„Jetzt dachte sie wieder an die Ermittlungen. Sollte Markus doch recht haben? Cemal war nicht im Affekt ermordet worden. Selbst wenn es ein Mord aus Rache gewesen sein sollte, hatte der Mörder nicht im Affekt gehandelt, sondern die Tat minutiös geplant und kaltblütig als blutigen Kult inszeniert.“
Um es gleich vorauszuschicken, dieser Roman soll ein Bildungskrimi nebst grausigen Mordmethoden sein, denn der Autor umkreist nicht nur ausführlichst die griechische Mythologie, sondern nimmt seine Lesenden auch an die Hand, um ihnen von der Bergung und Geschichte des Pergamonaltars und Carl Humann zu erzählen, von Rosa Luxemburg, Stolpersteinen, der Stasi, dem Holocaust, der geteilten Stadt Berlin in Westberlin und Berlin als Hauptstadt der DDR nebst Mauer und Stacheldraht, aber auch von aktuell agierenden Neonazis, dem bunten Kreuzberg, dem NSU, der Idee von Germania und weiteren unrühmlichen Ereignissen in der deutschen Geschichte.
Durch diese ausufernden Exkurse in längeren Monologen zu verschiedenen Themen könnte man schnell den roten Faden verlieren und von den Morden, die geschehen, abgelenkt werden. Neben den geschichtlichen Ausflügen kommt noch hinzu, dass Ahmet Ümit auch sehr gern vom Privatleben seiner Ermittler erzählt. Allen voran, Hauptkommissarin Yildiz Karasu, deren Eltern einst als Kommunisten aus der Türkei vor der Militärdiktatur in die DDR flohen, um sich dann in Westberlin niederzulassen. Der wohlbeleibte Kommissar Tobias Becker, er übernimmt den Part des „Ossis“, der aus Leipzig stammt und der Yildiz Karasu „Chef“ nennt. Natürlich, und hier gehen die Klischees so richtig los, muss sie als Frau und vor allem mit ihren türkischen Wurzeln gegen ihren ignoranten, ausländerfeindlichen wie homophoben Vorgesetzten Markus kämpfen. Yildiz lebt in Scheidung, hat einen Sohn und einen Vater, der sich um das Kind kümmert, wenn sie ihrer Profession nachgeht, die dem Vater so gar nicht passt.
Zum Auftakt des Romans wird gleich eine spektakuläre Leiche präsentiert. Der nackte Cemal Ölmez wurde vor seinem eigenen Wandbild mit Motiven der griechischen Mythologie ermordet. In seinen Händen trägt er sein eigenes Herz, dass er dem Göttervater Zeus, aus welchen Motiven auch immer, entgegenhält. Im Laufe der sehr konstruierten Story wird die Geschichte der türkischen Familie Ölmez erzählt, deren Männer alle mit der Bergung des Pergamonaltars, dem Throne Zeus, in Bergama zu tun hatten. Da Yildiz Assistent Tobias nicht allzu viel Ahnung von Kronos, Prometheus und anderen Titanen hat, muss sie ihm sozusagen Nachhilfe geben. Auf dem Wandbild des begabten Malers Cemal, der eigentlich Softwareingenieur von Beruf ist, sieht man ihn als Zeus dargestellt und die männlichen Mitglieder der Familie in göttergleichen Positionen. Wissen muss man allerdings, dass Cemal als schwul lebender Mann von seinem Vater verstoßen wurde. Schnell rücken die Neonazis Otto Fischer und Rüdiger Winkelmann in den Focus der Polizei, da diese sich liebend gern gegen die Türken als ihre Nachbarn gestellt haben. Und dann findet auch noch Peter Schimmel, der Firmenchef von Cemal, einen Drohbrief von Otto im Schreibtisch von Cemal. Für Markus ist alles klar, die Neonazis sind für die Morde, hinzu kommt die bestialischen Tötungen von Cemals dementem Großvater und seinem Freund Alex hinzu, verantwortlich. Aber Yildiz hat ihre Zweifel, denn sie traut den dumpfen Naziverehrern nicht die Akribie der Morde und deren mythologische Anspielungen, die alle mit dem Pergamonaltar zu tun haben, zu.
Der Pergamonaltar übt auf die Familie Ölmez, ein Mitglied ist sogar Archäologe, aber mit diesem Familienzweig sind die Ölmez zerstritten, eine seltsame Wirkung aus, denn zeitweilig überkommt die männlichen Mitglieder der leichte Größenwahnsinn und sie denken, sie seien einer der Titanen. Yildiz glaubt, dass hier die richtige Spur hinführen müsste.
Etwas zu oberlehrerhaft ( Sind die Lesenden wirklich so unwissend, dass man ihnen alles haarklein erläutern muss? ) und viel zu ausschweifend, um nicht zu sagen bleischwer oder soll die Handlung eher grotesk sein, umkreist Ahmet Ümit seinen Kriminalfall, der letztendlich auf die Teilung der Stadt und deren Folgen zurückgeht. Sprachlich, gerade in den Dialogen zu simpel, fällt es schwer die holzschnittartig geformten Figuren wirklich ernst zu nehmen und sich immer wieder auf neue Individualgeschichten einzulassen.