Christian Schnalke: Gewitterschwestern, Kampa Verlag, Zürich 2023, 304 Seiten, €22,00, 978 3 311 30041 0
„Grit hatte geglaubt, das Leben, das sie sich aufgebaut hatte, sei eine stabile Burg, die sie verlässlich gegen die barbarischen Angriffe der Vergangenheit schützte. Aber das war es nicht.“
Es ist schon ein Phänomen, wie unterschiedlich Geschwister, ob Schwestern oder Brüder, sein können und wie schnell sich diese auf Jahre hinaus entzweien. Bei Grit und Fiona sind dies nun schon über zehn Jahre. Grit hat sich ihren Kindertraum, auf einer Burg zu wohnen, gemeinsam mit ihrem damaligen Freund Marek erfüllt. Mit ihrem Kind Melli, eigentlich Emilie, ist sie auf den Hügel mit der Auflage gezogen, nach und nach alles instand zu setzen. Grit wohnt nicht im Herren-, sondern eher in einem Dienstbotenhaus und vieles auf dem 400 Jahre alten Burggelände ist wirklich baufällig. Als Marek sich dann aus dem Staub macht, kann Grit mit ihrem Gehalt als Sozialarbeiterin nur wenig ausrichten. Die Stadt und der Denkmalschutz sitzen ihr im Nacken und die Kündigung droht. Dabei lieben Grit, die unbedingt unabhängig leben will, und die nun mittlerweile elfjährige Melli ihr Zuhause. Allerdings lebt es sich im Sommer in einem Blumenmeer angenehmer auf der Burg, als im Winter. Millis Schulweg mit dem Fahrrad beträgt gute sieben Kilometer und oftmals warten ihre sogenannte Freundinnen nicht auf sie. Milli ist für ihr Alter ziemlich reif ( auch wenn sie sich imaginäre Geschwister einbildet ) und sie scheint hochbegabt zu sein, denn anders kann man sich ihre Entscheidungen, die sie in der sich dramatisch steigernden Handlung treffen wird, nicht erklären.
Grit hat Milli einiges verschwiegen. Als dann Fiona, ihre jüngere Schwester vor der Tür steht, muss Grit nach Erklärungen suchen, denn Milli ist Fionas Kind. Fiona wurde mit zwanzig Jahren schwanger, hat mit dem Kind einen Unfall verursacht und es dann einfach bei der Schwester gelassen. Marek wollte kein Kind, obwohl sich im Zuge der Geschichte herausstellen wird, dass er der Vater ist. Nun will Fiona, die mit einem selbstgebastelten Sarg, in dem sie ihre Vergangenheit beerdigen will, angereist ist, ihr Kind zurück. Natürlich wehrt sich Grit und die Streittiraden der beiden Schwestern, die sich immer wieder auf vergangene Geschehnisse beziehen, entgehen natürlich auch Milli nicht. Hat die flatterhafte und spontane Fiona die Traumgebäude ihres Vaters unterstützt, so blieb Grit mit ihrer desillusionierten Mutter auf dem Boden der Tatsachen. So hat nur Grit sich um die krebskranke Mutter gekümmert und sie auch beerdigt. Grit kennt aus ihrer Arbeit nur Konflikte, doch wie sie ihre eigenen lösen kann, ist ungewiss. Fiona hat da schnellere Lösungen: Immer sind die anderen schuldig an ihren Problemen und wenn es zu brenzlig wird, dann haut sie einfach ab.
Neben der gegenwärtigen Handlung blendet Christian Schnalke immer wieder auch Erinnerungen an die Kindheit der Schwestern ein, insbesondere an ihren letzten Urlaub in der Berghütte mit dem Vater.
Als nach heftigem Streit sich Fiona, die selbst nicht weiß, wie sie mit ihrem Kind umgehen, geschweige es ernähren soll, auf die Berghütte zurückzieht, erzwingt Milli ein ehrliches Gespräch zwischen den Schwestern. Dass es zwischen ihnen noch viel zu klären gibt, ahnt nicht nur die Tochter dieser beiden so gegensätzlichen Frauen. Milli fordert, dass Grit und Fiona den bunt bemalten nicht gerade leichten Sarg durch den Wald auf die Berghöhe des Gamsköpfel gemeinsam tragen. Wer durchhält, so die Elfjährige, ist ihre Mutter.
Ein möglicherweise gefährliches, aber letztendlich klärendes Unterfangen.
Die wahre Qualität des Romans liegt in der Figurenzeichnung der unterschiedlichen Frauen, aber auch in der Beschreibung der Natur, die für Grit, Fiona und Milli einerseits Heilung, aber auch andererseits Gefahr bedeuten könnte.
Eine Geschichte, die sich so wirklichkeitsnah liest und in ihren Dialogen belegt, hier weiß einer, wie Geschwister miteinander reden können.