Cay Rademacher: Schweigendes Les Baux, Ein Provence-Krimi mit Capitaine Roger Blanc, Dumont Verlag, Köln 2021, 414 Seiten, €16,00, 978-3-8321-8128-4
„Da war etwas! Er wusste noch nicht genau, was er da hatte, das war keinesfalls eine richtige Spur, doch er hatte das Gefühl, als hinge da etwas dicht vor seiner Hand und er müsste bloß zugreifen, um es zu packen.“
Ist die Hinfahrt gesäumt von blühenden Mandel- und Olivenbäumen im frühlingshaften Les Baux mit seinen Felsen und Ruinen eine Freude, so muss sich der Ermittler Roger Blanc bei Ankunft in einer Höhle, die ansonsten in einer Lichtershow Gemälde von Vincent van Gogh zeigt, einer Leiche widmen. Brutal hat der Mörder dem Opfer die Kehle durchgeschnitten. Der Tote ist ein Kunstdetektiv und heißt Patrick Ripert.
Noch ist ein ominöses Virus eine Nachrichtenmeldung aus dem weit entfernt chinesischen Wuhan und niemand gerade aus der Touristenbranche ahnt, was demnächst geschehen wird.
Mit seinen Team befragt Blanc nun Riperts Auftraggeber. Vor sieben Jahren hat sich der einstige gut verdienende Werbefachmann Charles Féraud in Les Baux niedergelassen. Mit seiner Familie bewohnt er ein Anwesen, dass von Mandelbäumen gesäumt ist. Diese sollen ihm in einigen Jahren auch künftig seinen Lebensunterhalt und den seiner Frau und Kinder finanzieren. Ermittler Blanc erkennt schnell, dass die Familie Féraud nicht gerade friedlich miteinander lebt. Es gibt einen älteren, recht seltsamen Sohn, Bruno, offenbar aus erster Ehe und zwei bedeutend jüngere Kinder, Baptiste und Dorothée, die dem Drogenkonsum zusprechen, aus der Ehe mit Sonia, die die Polizisten unfreundlich begrüßt. Charles Féraud wurde ein Gemälde gestohlen, dass eine verstorbene einst ortsansässige Malerin gezeichnet hatte. Der wütende Féraud vermutet den Dieb innerhalb des Familien- und Freundeskreises. Bei seinen Befragungen muss der Detektiv jemandem mächtig auf die Füße getreten haben, denn dieses Bild ist alles andere als wirklich kostbar. Seltsamerweise sind alle Freunde von Féraud genau so wie er nach der Finanzkrise 2008 aus Paris in die Provence umgesiedelt. In den Taschen des Toten finden die Ermittler einen Röhrchen für eine DNA-Probe. Doch welche Spuren wollte Ripert verflogen, wer ist ihm vielleicht per Zufall begegnet? Roger Blanc sieht auf Baptistes Schreibtisch einen Artikel über einen unaufgeklärten Mord von vor mehr als acht Jahren. Philippe Loubet de Bayle hatte zweiundvierzigjährig seine Frau und die drei Kinder nebst Hunden erschossen, in die Veranda einbetoniert und wurde nie gefasst. Es stellt sich heraus, dass Patrick Ripert der Bruder der ermordeten Ehefrau und Onkel der drei Kinder war. Plötzlich dreht sich die Geschichte in eine völlig neue Richtung, denn ein wahres Mordmotiv ist nach 190 Seiten nun endlich gefunden. Ungeduldig wie der Leser versucht auch Blanc, mit einigen nicht legalen Mitteln den verdächtigen Personen auf den Pelz zu rücken. Zum Glück jedoch findet sich ein Hinweis, der gründliche DNA-Analysen bei allen beteiligten rechtfertigt.
Ermittler Blanc, der sich nebenbei auch noch richtig in seine Nachbarin Paulette verliebt, konzentriert sich bei seinen Verdächtigen auf Bruno, den einsam lebenden Eremiten und treuergebenen Sohn. Mag sein Spürsinn richtig sein, so hat sich Bruno allerdings einer anderen Tat schuldig gemacht.
Am Ende wird durch die Analyse die gesamte dysfunktionale Familie Féraud auseinanderbrechen, denn der Vater ist nicht der Erzeuger der Kinder, Sonia kreuzunglücklich mit ihrer Rolle als schöne Vorzeigeehefrau und Bruno in Haft für eine in Portugal begangene Fahrerflucht mit Todesfolgen.
Absolut spannend bleibt die Aufdeckung der Identität des Philippe Loubet de Bayle, dessen Fingerabdrücke auf den Gemälden der Malerin aus der Provence festgestellt wurden.
Cay Rademacher hat sich einen gut konstruierten Fall mit überzeugenden Figuren ausgedacht, den sein erfahrender Ermittler Blanc auf seine ruhige Art lösen wird. Gern schweift der Autor in ausführlichste Beschreibungen von Landschaften oder Häusern bis hin zur Farbe der Tür- und Fensterläden ab. Spannend bleibt jedoch nach wie vor sein Interesse an den wirtschaftlichen wie politischen Hintergründen seiner Wahlheimat Südfrankreich, das immer wieder gut portioniert in die Handlung einfließt.