Petra Hartlieb: Ein Winter in Wien, Kindler Verlag, Reinbek bei Hamburg 2016, 173 Seiten, €16,95, 978-3-463-40086-0
„Dieses Mädel, das bei dem Doktor Schnitzler arbeitete … irgendwie bekam er sie nicht aus dem Kopf.“
Oskar Novak und Marie Haidinger lernen sich am Anfang des 20. Jahrhunderts durch den bedeutendsten Vertreter der Wiener Moderne, Arthur Schnitzler, in Wien kennen. Er ist ein junger Buchhändler und sie das achtzehnjährige Kindermädchen der Familie Schnitzler.
Petra Hartlieb erzählt in ihrem schmalen Band von der Liebe in verschiedenen Varianten. Zu einen geht es um Marie, die auf dem Land in einer lieblosen Familie mit zu vielen Mädchen großgezogen wurde. Der Vater schickt sie, auch wenn sie Lesen und Schreiben kann, zum Arbeiten aus dem Haus, da ist das Kind zwölf Jahre alt. Hart ist das Leben in dieser Zeit, in der niemand dieses Mädchen beschützt und das auch nicht mehr in die Familie zurückkehren kann. Zum anderen dreht sich die Geschichte auch um Oskar, der früh seine Eltern verloren hat und in einem Waisenhaus erzogen wurde. Der Buchhändler Friedrich Stock besucht den Jungen und verspricht ihm, ihn mit fünfzehn Jahren in die Lehre zu nehmen. Auch Oskar kennt die Kälte der Einsamkeit und das Gefühl verlassen zu sein.
Marie strandet letztendlich in der großen Stadt, da sie auf dem letzten Hof, auf dem sie körperlich arbeiten musste, sexuelle Übergriffe befürchtet. In ihrer Kindheit hat Marie nur Gewalt vom Vater kennengelernt und selten ein gutes Wort, aber auch tiefe Zuneigung von der Großmutter. Diese Liebe hat Marie innerlich gestärkt und so ist aus ihr eine sympathische Frau geworden, die geduldig mit Kindern umgehen kann und lernen will. Im wohlhabenden Haus der Familie Schnitzler kümmert sie sich um die zweijährige Lili und Heinrich, er ist neun Jahre alt. Sie spürt die Ablehnung der Hausherrin für die Marie nur eine ungebildete „Landpomeranze“ ist, bemerkt aber auch wie sehr ihr Arthur Schnitzler vertraut und vielleicht auch in die Seele schaut. Der bekannte Schriftsteller und Bühnenautor pflegt einen engen Umgang mit seinen Kindern. Er, der immer wieder über Ohrenschmerzen klagt, spielt mit seiner Tochter und unterhält sich mit Heinrich, der ein bisschen altklug ist. Olga Schnitzler, um 20 Jahre jünger als ihr Mann, bleibt sehr im Hintergrund, sie ist nicht da, wenn ihre Tochter hohes Fieber hat und sie kommt nur zu Wort, wenn sie das Kindermädchen kritisieren kann. Alles was Marie hört, sind laute nächtliche Streitereien zwischen dem Ehepaar Schnitzler. Im wahren Leben wird sich Schnitzler von seiner Frau trennen und die Kinder nach der Scheidung zu sich nehmen.
Marie erhofft sich Sicherheit und doch äußern sich die Schnitzlers nie, ob sie nun in der Stellung bleiben darf oder nicht. In dieser Lebenssituation begegnen sich Oskar und Marie. Sie holt die Bücher für ihren Hausherrn ab und Oskar verliebt sich in sie. Er schreibt ihr, schenkt ihr Gedichte von Rilke und sie gehen spazieren. Immer im Perspektivenwechsel erzählt die Autorin, die selbst eine Buchhandlung in Wien betreibt und auch darüber ein wundervolles Buch geschrieben hat.
Die Weihnachtszeit rückt näher und Marie besucht mit Heinrich den Christkindlmarkt. Als sie den Jungen im Getümmel der Leute verliert, ist sie verzweifelt und ahnt, dass sie dieser Nachmittag die Stellung kosten könnte.
Petra Hartlieb erzählt von der Liebe Maries zu den Schnitzler Kindern und deren Zuneigung zu ihrem Kindermädchen, aber auch von der aufkeimenden Liebe zwischen Marie und Oskar. Mag die Handlung fiktiv sein, so spielen doch auch soziale gesellschaftliche Konflikte eine wichtige Rolle, die immer wieder auch im Zentrum von Arthur Schnitzlers literarischem Schaffen standen.
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