Verena Keßler: Eva, Carl Hanser Verlag Berlin, Berlin 2023, 208 Seiten, €24,00, 978-3-446-27588-1
„Ich hätte kein Problem damit, einer der wenigen kinderlosen Paare im Freundeskreis zu sein. Ich wäre gern die Frau gewesen, die selbstbewusst gesagt hätte, dass sie einfach keine Kinder will. Es wäre mir egal gewesen, was man von mir gehalten hätte, wahrscheinlich hätte ich mir sogar in dieser selbstgewählten Außenseiterrolle gefallen. Doch sie stand mir nicht mehr offen.“
Sina, Eva, Mona und eine namenlose Frau gewähren aus der Ich – Perspektive in ihrem eigenen Erzählmodus Einblicke von ihre Lebensumständen, in denen es zentral und variationsreich um die Kinderfrage geht. Wie ist es, wenn es nie zur gewünschten Schwangerschaft kommt? Wie ist es, wenn man als Frau behauptet, die Menschheit solle mit Verhütung die Welt retten? Wie ist es, wenn die Kinder alle Kraft einfordern und das Glücksversprechen nicht einlösen? Und wie ist es, wenn eine Frau ansehen muss, wenn ihr Kind stirbt? Alle vier Frauen haben direkt oder auch indirekt miteinander zu tun.
Alles beginnt mit einem Interview, in dem Eva Lohaus, eine Lehrerin, in ihrem Essay eine radikale Meinung vertritt. Sie glaubt, dass der Mensch längst auf dem absteigenden Ast sitzt und sich nur helfen kann, wenn er keine Kinder mehr zeugt. Das würde den Klimawandel eventuell verlangsamen. Sina wird Eva interviewen und sie wird sich über sie ärgern, denn immerhin erscheint die selbstbewusste Frau mit einem Hund, der Mengen von Fleisch konsumiert. Sina erzählt von dem Hund in ihrem Teaser zum Artikel und ahnt nicht, welche Folgen dieses Interview für Eva und ihren Hund Maddie haben wird.
Von den gesellschaftspolitischen Fragen schwenkt Verena Kessler schnell ins Private. Denn hier dreht sich bei Sina alles darum, dass sie und ihr sympathischer, so lebensfroher Freund Milo durchaus unbedingt ein Kind wollen. Obwohl es körperlich bei den Partner keine Komplikationen gibt, wird Sina nicht schwanger. Milo pflegt einen sehr engen Kontakt zu seinen Geschwistern und auch Sina hat zu ihrer Schwester Mona eine gute Beziehung. Seit Mona allerdings drei Kinder hat, bleibt nicht so viel Zeit für Sina. Tief in ihrem Inneren weiß Sina, dass sie der Kinderwunsch nicht so heftig bedrückt wie Milo. Doch als sie von den medizinischen Eingriffen ihren Freundinnen erzählt, ahnt sie, wie sehr sie die anderen bemitleiden werden, wenn es nicht klappt.
„Es war ihre Entscheidung gewesen, die Stadt zu verlassen und dieses Haus zu kaufen, sich abzuwenden und mit der Welt nichts mehr zu haben zu wollen. Doch in diesem Moment fühlte es sich trotzdem so an, als hätte man sie hierher verbannt.“
Seit dem Interview wird Eva in den Sozialen Medien mit Hass überschüttet und seit ihre Adresse veröffentlicht wurde, kann sie sich vor unerwünschter Post nicht retten. Sogar ihren Hund hat jemand vergiftet. In der Schule haben die Eltern Evas Entlassung gefordert. Nun ist sie beurlaubt und hat sich ein altes, heruntergekommenes Haus gekauft. Ihr Nachbar ist weit fort und doch hört sie jeden Morgen sehr früh seinen Hahn krähen. Sie kann kaum schlafen und erinnert immer wieder die gemeinen Anschuldigen und den Moment, in dem sie ihren Hund gefunden hat. Eva will sich einfach nicht herunterziehen lassen und sogar Sina weiß, dass man über Evas Denkansätze auch sachlich diskutieren könnte. Als wäre nun mit Eva das Ende der Ahnenkette erreicht. Doch dann steht die einsame Josi bei Eva im Garten und die so kompromisslose Frau wird das Kind mit seinen sprühenden Ideen nicht los, bis zu dem Moment, wo sie Josi, die Urwaldforscherin werden will, klarmacht, dass es den Urwald bald nicht mehr geben wird.
„Ich vermisse dieses Gefühl. Sich abkoppeln zu können, in sich selbst zurückzuziehen. Die Müdigkeit, die ich heute spüre, hat nichts mehr von dieser Magie. Im Gegenteil, zuhause macht sie mir oft Angst.“
Milo hat sich von der tieftraurigen Sina getrennt und nun reisen die Schwestern allein in den Strandurlaub. Monas Mann Roman ist nicht begeistert, denn er muss nun mit den drei Kindern Urlaub auf dem Bauernhof machen. Mona ist erschöpft und kann doch nicht einschlafen. Inzwischen liest Sina das neue Buch von Eva Lohaus. Es sind die Querverweise und Verbindungen der Frauenfiguren, die auch eine bestimmte Dynamik in die Erzählungen bringen. Als letzte Frau berichtet die Sekretärin aus Eva Lohaus Schule von ihrem tragischen Schicksal. Sie hat als alleinerziehende und ziemlich einsame Mutter ihren Sohn durch Krankheit verloren. Konfrontiert mit Evas steilen Thesen lässt sie sich dazu hinreißen, ihre Adresse ins Netz zu stellen, um dies sofort zu bereuen. In ihrem Haus lebt Mona, ebenfalls mit den Kindern allein. Der älteste Sohn von Mona erinnert die Frau schmerzlich an ihr Kind.
Absolut berührend liest sich dieses Buch von Verena Keßler und eigentlich möchte man über die Seite 200 hinauslesen und ist beim letzten Satz enttäuscht über das schnell Ende. So nah kommt jede Figur in ihrer Ambivalenz und Schutzlosigkeit den Lesenden, da sie widersprüchlich, realistisch und in ihren Handlungen nachvollziehbar sind.