Max Annas: Morduntersuchungskommission. Der Fall Daniela Nitschke, Rowohlt Buchverlag, Hundert Augen, 368 Seiten, €22,00, 978-3-498-00269-5
„Die DDR war ein alter Verbündeter des ANC. Vor allem des SACP, der kommunistischen Partei in dem Bündnis unter der Leitung des ANC. Waffenlieferungen, politische Schulungen, militärisches Training. Was immer gebraucht wurde, auf die DDR war Verlass.“
Oberleutnant Otto Castorp, geschieden, seine Kinder sieht er kaum, wurde nun von Gera in die Hauptstadt Berlin versetzt. Hier arbeitet er, es ist das Jahr 1987, in der zweiten Morduntersuchungskommission, kurz MUK genannt. Kaum angekommen werden in Friedrichshain zwei Leichen entdeckt. Es handelt sich um einen Mann, einen Musiker aus der Schweiz und eine Frau, die offensichtlich in einem verfallenen Haus aus dem Fenster in den Hinterhof gefallen ist oder gestoßen wurde. Dass beide Fälle irgendwie zusammen gehören, ahnen die Lesenden. Zumal sie bereits mit dem Ich-Erzähler der Geschichte, Billy Ndlovu, einem aus Südafrika geflohenen Jazzmusiker Bekanntschaft geschlossen haben. Er arbeitet heimlich für den ANC und überbringt von Westberlin aus Botschaften in den Ostteil der Stadt. Diesmal jedoch fühlte sich Billy von einem Buren, wie er mutmaßte, beobachtet und hat den Auftrag an den Musiker Franck Gregorieff übergeben. Dieser ist nun tot. Angst macht sich breit, denn Billy kennt auch die zweite Tote, Daniela Nitschke. Die junge Frau kommt aus Neubrandenburg und interessiert sich besonders für Musik und ausländische Musiker.
Parallel zum Fall von Otto Castorp soll Erika Fichte, eine einfache Sekretärin beim MfS, im Auftrag ihres Vorgesetzten, Major Diewitz, ( Spitzname: der Witz ) den verschollenen Friedrich Wolle suchen. Er ist zuständig für die Ausbildung von ANC Leuten an Waffen in der DDR. Er kümmerte sich auch um Waffentransporte nach Angola, aber auch Südafrika. Dass er in den Westen abgehauen ist, wäre eine Möglichkeit. Doch Erika glaubt das nicht. Dass sie in den Akten suchen soll und ihn aufspüren, wird immer mehr zum Rätsel. Langsam entsteht der Verdacht, sie soll ihn gar nicht finden. Doch was steckt hinter Wolles Tätigkeit und welchem Geheimnis soll niemand auf die Spur kommen? Was ist wirklich in den Kisten, die von Rostock nach Südafrika verschifft werden?
Zeitkritisch betrachtet Max Annas die letzten Jahre vor der Wende. Unzufriedenheit macht sich breit. Die Stasi mag prügeln, doch die Leute gehen trotzdem zum Brandenburger Tor, wenn dort Genesis oder andere westliche Bands spielen. Gerade in Berlin häufen sich durch den Wohnungsmangel seit Jahren die illegalen Besetzungen von heruntergekommenen Häusern. Bei den Befragungen nach Daniela Nitschke durchkämmt die Stasi auch das Haus, in dem sich das Opfer aufgehalten haben muss und in dem sogenannte „Gammler“ aus Saalfeld wohnen. Doch niemand kennt die Tote.
Keine Frage, Max Annas schreibt über ein interessantes, wie ambivalentes Kapitel der DDR – Geschichte. Den ANC finanziell und militärisch zu unterstützen und die Apartheid zu verurteilen, war für die DDR systemimmanent. Die gewaltsame Unterdrückung ihrer eigenen Bevölkerung jedoch führte dann zu Veränderungen, die Castorp und auch Erika Fichte kaum erahnen würden.
Wie immer liest sich Max Annas gut recherchierter Krimi spannend und vor allem in seiner präzisen Darstellung der einzelnen Figuren, wie Verhältnisse in der damaligen Zeit differenziert und überzeugend.