Martyn Bedford: Letzte helle Tage, Aus dem Englischen von Katharina Orgaß und Gerald Jung, Deutscher Taschenbuch Verlag, München 2015, 340 Seiten, €14,95, 978-3-423-74011-1

Eigentlich war nicht vorgesehen, dass Schwestern ihre kleinen Brüder gernhatten, und schon gar nicht, wenn der betreffende kleine Bruder schlauer war, als die Polizei erlaubte. Ihre Freundinnen hassten ihre kleinen Brüder. Aber Declan hatte Shiv, als er halbwegs sprechen konnte, immer zum Lachen gebracht.“

Für die fünfzehnjährige Siobhan, kurz Shiv genannt, gibt es eine Zeit vor und nach Kyritos. Es ist der Griechenlandurlaub und vor allem der vorletzte Tag, der alles verändern wird. Der Leser ahnt, dass etwas extrem Schlimmes geschehen ist, denn Shiv wird gleich zu Beginn der Handlung in eine psychiatrische Einrichtung, die Korsakow – Klinik, gefahren. Alle Therapien, die Shiv versucht hat, sind fehlgeschlagen. Sie kann ihre Aggressionen, die plötzlich auftreten und fast unbewusst ausgeführt werden, nicht unter Kontrolle bekommen. Sie lässt ein Flasche Wein im Supermarkt fallen, sie zerstört wahllos Seitenspiegel von Autos.

Sechzig Tage wird sich Shiv in der Klinik aufhalten und sie wird sich mit sich und dem, was geschehen ist, auseinandersetzen müssen. Gleich am ersten Tag begegnet sie Caron. Sie ist gut drei Jahre älter und nimmt mit ihrer sarkastischen Art Shiv die Angst vor dem, was kommen wird.
Jeder Patient und jede Patientien, ob Shiv, Caron, Mickey, Lucy, Docherty oder Helen, setzt sich mit Schuld auseinander. Jeder ist dem Tod begegnet. So hat Shiv erlebt, wie ihr zwölfjähriger Bruder gestorben ist. Sie glaubt, dass sie ihn umgebracht hat. Caron hat einer Freundin einen Pille auf einer Party verabreicht und daran ist sie gestorben und Lucy hat erlebt wie ihre Nichte unter ihrer Aufsicht sterben musste.
Innerhalb der Korsakow – Klinik werden die Jugendlichen mit den Menschen, die sie verloren haben, konfrontiert. Niemand sagt ihnen, dass sie sie vergessen sollen oder in den Alltag zurückkehren. Sie sehen sie des Nachts, sie schreiben, reden über sie und sie modellieren. In der zweiten Phase geht es um die Auseinandersetzung mit der Todesursache und das ist eine besonders harte Zeit.

Siobhan erinnert sich an den Urlaub mit ihren Eltern und ihrem Bruder in Kyritos. Sie verliebt sich heftig in Niko, einen gutaussehenden Griechen, der sehr gut Englisch spricht. Auch er verguckt sich in das Mädchen, das sich für siebzehn ausgibt.

Declan ist fast immer dabei, wenn Niko und Shiv sich sehen. Auch er hat sich ein bisschen in Niko verliebt. Um so heftiger dann die Enthüllung. Er, der so patent und fröhlich ist, immer mit einem lockeren Spruch auf den Lippen, verrät, wie alt seine Schwester wirklich ist und dass sie mit Niko angeblich „gevögelt“ hätte.

Ein Riesenkrach bricht los. Aber dann, Shivs Eltern gehen am vorletzten Tag, ihrem Hochzeitstag, essen, steht Niko, der nicht eine SMS von Shiv beantwortet hat, vor der Tür. Shiv und Declan haben sich fast wieder vertragen und Niko überredet sie mit ihnen, zu einer Junggesellenparty zu gehen.

Die Bewältigung der Trauer und der Tod naher Angehöriger ist das neueste Topthema in der Jugendliteratur. Martyn Bedford setzt sich ernsthaft damit auseinander. Aus Shivs Sicht erlebt der Leser alle Phasen der Konfrontation mit und er erkennt, dass im Leben dieser jungen Menschen nie mehr Normalität eintreten wird.

Shiv versucht, wie die anderen Jugendlichen auf ihre Weise auch, sich zu bestrafen. Sie beginnt zu hungern und fühlt sich bis zu ihrem Zusammenbruch freier.