Judith Pinnow: Läuft da was?, Krüger Verlag, Frankfurt a.Main 2015, 362 Seiten, €14,90, 978-3-8105-1459-2
„Was willst du jetzt eigentlich arbeiten?“, stellt Kristina mir die unangenehme Frage, die ich nicht beantworten kann. Ich zucke die Schultern und rechne mir leise aus, dass ich schon in drei Wochen vierzig werde. Ich werde in der Lebensmitte ankommen ohne Job, mit einer Ehekrise und ohne Plan, in welche Richtung ich weitergehen soll. Happy Birthday!
Es verwundert schon, wenn neuerdings eine Autorin in einem Artikel in einer durchaus seriösen Wochenzeitungen befremdet feststellt, dass sich fast alle gut ausgebildeten Frauen in ihrer Umgebung nach der Geburt ihres ersten Kindes der Mutterschaft voll und ganz hingeben. Liegt es daran, dass sie mit einem gut bezahlten Partner zusammenleben oder an der Tatsache, dass Frauen hierzulande als Rabenmütter angesehen werden, wenn sie sich nicht hundertprozentig dem Kind widmen?
Die von sich selbst berichtende Heldin in Judith Pinnows Debütroman, Annabel Förster, stellt fest, dass sie ihre berufliche Karriere nie hätte aufgeben sollen und mindestens nach dem dritten Kind vor sechs Jahren wieder hätte beruflich voll durchstarten müssen. Jetzt ist sie neununddreißig, arbeitet zwei Tage in der Woche für einen Privatsender und sein Nachtprogramm und muss sich nach einem Moderations-Casting für eine Abendsendung von einem Produzenten, den sie auch noch kennt, sagen lassen, dass sie zu alt für die Zielgruppe der Sendung sei.
Annabels Mann ist sechs Jahre älter, Schauspieler in einer Vorabend-Polizeiserie und gut im Geschäft. Zwei Freiberufler und drei Kinder bedeutet eigentlich in diesem Land finanzielle Unsicherheit und nicht unbedingt, hat man nicht geerbt, gutsituiertes Familienleben mit eigenem Häuschen in der Großstadt, zwei Autos und Nachwuchs, der reitet und Klavierunterricht nimmt. Aber diese unrealistische Widerspiegelung der Mittelschicht sei mal dahingestellt, sie ist nicht der Schwerpunkt dieses Romans, den Dora Heldt und nun ahnt man, in welche leichtfüßige Richtung die Geschichte läuft, auf dem Cover auf noch bewirbt.
Dabei hat die Autorin diese Empfehlung gar nicht nötig, denn sie umkreist ein ernstzunehmendes Thema, das nicht nur Männer in der sogenannten Midlife -Krise beschäftigt. Was will ich als demnächst Vierzigjährige selbst mit der zweiten Hälfte meines Lebens anfangen? Weiß ich als Mutter, Ehefrau und Berufstätige eigentlich noch wer ich bin, was ich wirklich möchte?
Und in ihren schlimmsten Stunden muss Annabel sich eingestehen, dass sie den Film „Ice Age Vier“ mit ihren Mädchen nicht noch ein einziges Mal ertragen würde, aber sie hat auch keine Ahnung, was sie eigentlich sehen will. Und wie in vielen Familien sind auch in Annabels die Rollen genau verteilt. Der Vater spielt den Part des geliebten und unbeschwerten und die Mutter, den der Spaßbremse und ständig mahnenden. Als die Mädchen bei einem Spaziergang dann einen Hund sehen, der sie und den Vater begeistern, ist die Frage, ob die Familie sich einen Vierbeiner anschafft, schon geklärt, bevor Annabel überhaupt ihre Meinung sagen kann. Dass ihr Mann die Entscheidungen trifft, bevor sie abwägen darf und genau weiß, dass alle Arbeit mit dem neuen Hausgenossen an ihr kleben bleiben wird, kennen sicher viele Frauen. Aber das ist ja noch nicht mal der Tiefpunkt in Annabels Dasein, dass die Leserin hautnah im Präsens miterleben darf.
Annabel trifft es dann wirklich hart, denn der Produzent rät ihr in Ermangelung an guten jungen Moderationen, sich doch, natürlich auf Kosten der Firma, unters Messer zu legen, um mindestens zehn Jahre jünger auszusehen. Tom, Annabels Mann, hat da eine eindeutige Haltung. Für ihn hat seine Frau das gar nicht nötig. Sarah, dessen Mann Andi vor kurzem für eine Vierundzwanzigjährige sie und die beiden Jungen verlassen hat, denkt da schon anders. Und Kristina, die dritte Freundin im Bunde, schlägt gleich mal ihren Schönheitschirurgen vor.
Zwischen dem Alltagswahn mit drei anspruchsvollen Mädchen im Alter zwischen elf und sechs Jahren, einem Mann, der seinen Beruf liebt und alle Verantwortung an Annabel abgibt, dem beruflichen Stress und den Kümmernissen der Freundinnen, lernt Annabel auch noch einen jungen Mann kennen, der sie seit ihrer Zeit beim Kinderfernsehen, auch als Moderatorin, bewundert.
Sicher geht diese Zuneigung und die Auszeit von der Familie runter wie Öl, aber Annabel kann sich nicht entscheiden, ob sie nun alles will oder nur ein bisschen, Sex oder Beinahe-Sex. Steht immer noch die Frage für Annabel aus, will ich mich für mein Berufsziel verbiegen? Akzeptiere ich Botox, Fettabsaugung oder medizinische Eingriffe, um endlich beruflich weiterzukommen?
Als Annabels Mann dann auch noch für einen Fernsehpreis nominiert wird, sie den bewussten Produzenten trifft, der ihr eigentlich nur an die Wäsche will und sie auch noch erfährt, das diese Abendsendung schon längst abgesetzt ist, eskaliert die Story.
Zumal Annabel auch noch ihren angetrunkenen Ehemann in flagranti mit ihrer jungen und natürlich blonden Hasskonkurrentin, wie ordinär, beim Sex in der Toilette erwischt.
Judith Pinnow spielt mit allen Ingredienzien, die einen Unterhaltungsroman mit Wohlfühlfaktor ausmachen – Familienchaos, Alltagswahnsinn, Eifersucht, bissige Seitenhiebe auf die eitle Medienbranche, ein bisschen Glamour und Sex. Ein bisschen am eigenen Leben entlang geschrieben, bewegt sich Judith Pinnows Stil im Großraum von Konvention und Banalität. Aber sie flieht nicht in den leicht ironischen Erzählstil und plumpen Humor, den viele Frauenromane für sich entdeckt haben, sondern sie bleibt, leider auch mit Klischees behaftet, ihrem Thema, der Selbstfindung Annabels, treu. Wie die Protagonistin ihre Probleme löst, mag jeder für sich beurteilen, dass ihr Mann, wie fast vorhersehbar, jedoch fremdgehen muss, damit sie sich nun endlich auch traut, das auszuleben, was sie möchte, ist ein Schwachpunkt in der ganzen Geschichte.
Etwas unglücklich getroffen sind Titel und Buchcover, das Assoziationen herruft, die nichts mit dem Inhalt des Romans zu tun haben.
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