John Grisham: Der Verdächtige, Aus dem Amerikanischen von Beate Reiter, Imke Walsh-Araya und Kristiana Dorn-Ruhl, Heyne Verlag, München 2022, 411 Seiten, €24,00, 9788-3-453-27316-0
„Acht Menschen in sieben Bundesländern waren tot. Sieben Opfer waren auf die gleiche Weise erdrosselt worden, und alle hatten das Pech gehabt, irgendwann einmal Ross Bannick über den Weg gelaufen zu sein.“
Ross Bannick ist nicht irgendein Täter, er ist, und hier wird es so richtig spannend, ein angesehener Richter in Florida. Doch wie kann es sein, dass der, der Recht sprechen soll, Recht bricht? Und warum kann er ungestört zwanzig Jahre lang morden und niemand hat nur die geringste Ahnung von seinem Doppelleben? Da offenbar jedes Bundesland so vor sich hin ermittelt und es keinen, was völlig unverständlich ist, länderübergreifenden Informationsaustausch gibt, kann der Serienmörder walten und schalten, wie er lustig ist. Er hat sogar eine ganz eigene Handschrift. Natürlich hinterlässt er am Tatort keine Spuren, er versetzt seinem Opfer einen Schlag, benutzt immer das gleiche Seilfabrikat und als Knoten einen doppelten Mastwurf.
Als die wirklich verängstigte Afroamerikanerin Jeri Crosby mit Lacy Stoltz vom Board on Judicial Conduct in Verbindung tritt, wird ihr kaum geglaubt. Lacy, die ihren Job in der Gerichtsaufsichtsbehörde in Florida zur Überprüfung von Richtern gut macht, aber nicht sonderlich liebt, bleibt sehr lang der Meinung, dass Jeri eigentlich der Polizei all ihre Recherchen aushändigen sollte. Doch Jeri traut den Polizeibeamten nicht, außerdem hat sie Angst um ihr eigenes Leben. Sie ist sicher, dass Bannick, ein geschätzter Vertreter des Justizsystems, vor zweiundzwanzig Jahren ihren Vater Bryan Burke ermordet hat. Bannick ist ein geduldiger Mörder, er kann jahrelang warten, ehe er seine Rache verübt. Denn immer stehen hinter den Morden Kränkungen, mal kleinliche, mal für ihn unerträgliche. Burke hatte Bannick im Studium als arroganten Jurastudenten vor dem Auditorium lächerlich gemacht.
Jeri ist bei ihren Recherchen äußerst vorsichtig vorgegangen. Sie hat sich neue Identitäten zugelegt, um Befragungen im Umfeld der Ermordeten vorzunehmen und einen Privatdetektiv engagiert, der für sie im Internet nach Informationen sucht.
Als Bannick Lanny Verno, einen einfachen Anstreicher, auf seine gewohnte Weise tötet, kommt ihm ein Augenzeuge in die Quere. Auch ihn muss er beseitigen, macht aber Fehler. Verno hatte ihn vor dreizehn Jahren angeblich mit einer Waffe bedroht und vor Gericht hatte Bannick bei seiner Klage gegen den Handwerker verloren.
Als Lacy den Posten der Interimschefin übernimmt, niemand bleibt lang in dieser Behörde, gibt sie Jeri grünes Licht für eine Dienstaufsichtsbeschwerde, allerdings anonym.
Bannick wird aufgeschreckt, denn auch er verfügt über diverse Möglichkeiten alle möglichen Akten legal oder illegal durch seine Spyware einzusehen. Ab diesem Moment ist niemand mehr sicher, weder der Privatdetektiv, noch Lacy, noch Jeri.
Multiperspektivisch erzählt John Grisham, ein auch sprachlichen Meister seines Faches, mal aus Bannicks Sicht, dann wieder aus Jeris oder Lacys Blickwinkel. Mag die Behörde durch diesen einmaligen Fall an Ansehen gewinnen, so muss natürlich die Beweislage lückenlos stimmen.
Dass Bannick geistig gestört ist, offenbaren seine Gedanken rund um die Morde. Er sammelt alle Traueranzeigen zu seinen Opfern und er fürchtet nicht das Gefängnis, sondern die Tatsache, dass er bei Entdeckung nicht mehr morden kann. Dass eines seiner Opfer ihn als Kind missbraucht hat, erklärt nicht so ganz, weshalb er alle anderen töten musste.
Als Bannick ins Visier der Kontrollbehörde gerät, kann Jeri nicht widerstehen und schreibt ihm anonym Gedichte, die seine Opfer geschrieben haben könnten. Nicht gerade Kunst, aber wirksam und gefährlich für alle Beteiligten.
Aufregende Lektüre über das amerikanische Rechtssystem, dass wiedermal seine Lücken preisgibt und Stoff für einen absolut spannenden Roman.