Katya Apekina: Je tiefer das Wasser, Aus dem amerikanischen Englisch von Brigitte Jakobeit, Suhrkamp Verlag, Berlin 2020, 396 Seiten, €24,00, 978-3-518-42907-5
„In jenem Frühling war Dad das Einzige, was für mich zählte. Ich wollte ihm nur gefallen. Ich wollte ständig seine Aufmerksamkeit. Wenn seine Gedanken bei Mom waren- und das waren sie oft -, dann wurde ich eben Marianne.“
Von einem Tag auf den anderen werden die Schwestern Edith und Mae 1997 von Louisiana nach New York verfrachtet. Zwölf Jahre hat sich der Vater, Dennis Lomack, ein berühmter Schriftsteller, nicht um seine Kinder gekümmert. In ihrer Lesart, und die Mutter hat mit ihren Erzählungen dazu beigetragen, hat er sie wortlos verlassen. Die damals vierjährige Edith hat schmerzhafte Erinnerungen an die Sehnsucht nach dem Vater, Mae war zwei Jahre alt, als er ging. Marianne, die depressive Mutter der beiden Mädchen, eine begabte Lyrikerin, landet nach einem erneuten Selbstmordversuch in der Psychiatrie.
Die amerikanische Autorin Katya Apekina blickt multiperspektivisch auf alle Figuren. Die Hauptfiguren Edith und Mae erzählen aus unterschiedlichen Zeiten, Edith ist nah am realen Geschehen und Mae berichtet aus der Erinnerung. Sie arbeitet als Fotografin und berichtet u.a. von ihren Ausstellungen. Im Original lautet der Titel des Buches „The Deeper the Water the Uglier the Fish“. Je tiefer der Leser in die Geschichte eindringt, um so seltsamer und ja, ekliger wird es.
Edith fährt von Anfang an die Krallen gegen den Vater aus, von dem sie nach wie vor zutiefst enttäuscht ist. Er glaubt durch die pausenlose Nähe zu den Teenagern, sie müssen ihn sogar zum Postkasten begleiten, etwas von ihnen zu erfahren. Eingepfercht in die kleine, dicht mit Büchern voll gestellte Wohnung wächst der Unmut Ediths und die wachsende Zuneigung Maes. Als gut aussehender Mann umschwärmen Frauen den Autor, was die Schwestern nicht goutieren.
Parallel zur Familienzusammenführung erfährt der Leser aus verschiedenen Quellen, Tagebuchaufzeichnungen, Briefen und Rückblicken wie sich Dennis und Marianne kennengelernt haben, warum sie oder er sich voneinander entfernt haben und was andere Personen, z.B. Rose, die Schwester von Dennis, Fred, der einstige Freund von Dennis oder Doreen, die angebliche Freundin von Marianne denken. Ein Geflecht aus Abhängigkeiten offenbart sich und es wird klar, dass zwischen Dennis und Marianne eine symbiotische Beziehung bestand, die ihn inspirierte und sie zerstörte. Als er seine künftige, traumhaft schöne Frau kennenlernte war sie neun oder zehn, mit siebzehn hat er sie mit einem Altersunterschied von fünfzehn Jahren geheiratet.
Mae ist das Abbild von Marianne, sie ist das geliebte Kind, Edith fühlt sich immer vernachlässigt.
Marianne hatte den Mädchen Briefe aus der Psychiatrie geschrieben.
„Eigentlich war es kein Brief. Da stand kein „liebe“ oder „eure“. Es war ein Gedicht. Wie raffiniert von Mom, so undurchsichtig mit uns zu kommunizieren und zu verlangen, dass wir errieten, was sie uns sagen wollte, als wäre sie eine scheiß Sylvia Plath.“
Als Edith den Nachbarn Charlie in New York überreden kann, mit ihr in den Süden, nach Hause zu fahren, gilt ihr erster Besuch der Mutter. Deren erste Frage betrifft Mae. Eine tiefe Enttäuschung für die Älteste, die immer Verantwortung übernehmen musste.
Mae indessen bleibt beim Vater. Dass dieser unter dem Zwang steht, seinen nächsten Roman abzugeben und auch Geld zu verdienen ( Immerhin hat er die Familie auch in seiner Abwesenheit finanziert.) , kann sie nicht wissen. Auf eine seltsam pädophile Art und Weise erwartet er von seiner jüngsten Tochter, dass sie ihn inspiriert, in Erinnerung an die Mutter. Als würden sich die Grenzen zwischen den Figuren auflöse
Doch der Vater ist nur ein Autor, der seine Umgebung mit seinem Charisma und seiner alle vergiftenden Kraft aussaugt, alles verarbeitet und Menschen hintergeht. Seine jüngste Tochter nimmt sich egoistisch kindisch, was sie schon immer ersehnte, einen liebenden Vater und dabei begibt sie sich in Gefahr.
Das Ende der Kindheit bedeutet für beide Mädchen Entwurzelung und Einblick in eine dysfunktionale Familie, die eigentlich nicht mal eine Familie ist.
Fantastisch unterhaltsam geschriebener Seelenschmerz, wobei die Tragödie ausbleibt.