Jonathan Safran Foer: Hier bin ich, Aus dem amerikanischen Englisch von Henning Ahrens, Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2016, 683 Seiten, €26,00, 978-3-462-04877-3

„So viele Tage ihres gemeinsamen Lebens. So viele Erfahrungen. Wie hatten sie es geschafft, sich die letzten sechzehn Jahre hindurch voneinander zu entfremden? Wie hatte aus all der Anwesenheit Abwesenheit werden können? Und nun, da ihr erstes Baby bald zu einem Mann werden sollte und ihr drittes Baby Fragen zum Tod stellte, redeten sie in der Küche über vollkommen belanglose Dinge.“

Washington D.C.:Der Leser schaut in das Haus einer wohlsituierten bürgerlichen Familie. Sie heißen Jacob und Julia Bloch und sind sechzehn Jahre verheiratet. Er ist Schriftsteller, sie Architektin. Sie haben einen altersschwachen Hund und drei Kinder: Sam steht kurz vor seiner Bar Mizwa, hat Ärger in der Schule und ist fasziniert von Gewaltvideos. Benjy fragt pausenlos nach dem Tod und Max ist das typische Kind in der Mitte. Alle könnten zufrieden und glücklich sein oder sich nur ein bisschen mit dem Judentum herumschlagen, das Leben einfach genießen. Aber das wäre ja langweilig, kein Stoff für einen ambitionierten Autor wie Foer.

Nachdem sich der Vater mit seinen Söhnen diverse Redeschlachten geliefert hat, Sam, hat Ärger, denn im Grunde will er gar keine Bar Mizwa und hat angeblich einen Zettel mit Schimpfwörtern, u.a. das N-Wort verfasst, brechen die ersten Gräben auf. Die Eltern können sich nicht einigen, ob sie ihrem Sohn nun glauben oder nicht. Julia dramatisiert die Dinge und aus ihrer Sicht scheint es so zu sein als habe sie vier Kinder. Gut, der Familiensegen hängt schief, denn irgendwie sind sie so geworden wie alle anderen auch. Ein zweites Auto wird angeschafft, ein drittes Kind, Julia schläft neuerdings mit BH und die kleinen Freundlichkeiten im Alltag sind nach und nach entschwunden. Voneinander abgeschottet hat sich jeder in seine Welt zurückgezogen und lebt darin bis zu dem entscheidenden Moment im Badezimmer.
Da findet sich ein fremdes Handy mit seltsam vulgären Kurzeinträgen. Kein Eigentum der Söhne, sondern Jacobs Geheimnis. Er tauscht diese Obsessionen mit einer anderen Frau aus. Nichts ist angeblich zwischen ihnen geschehen und doch bricht nun alles auseinander.

Jacob arbeitet im Geheimen an einer Fernsehserie, Julia mag über ihre Arbeit kaum reden, da zu unbedeutend. Die Jungen leben in der virtuellen Welt, die der Vater in seiner ungeschickten Art der Anteilnahme auch noch teilweise gelöscht hat. Er könnte das mit sechs Monaten Spiel wiedergutmachen oder mit einer ziemlich hohen Geldsumme.
Jedenfalls reist die israelische Verwandtschaft an und mischt die Familie auf. Cousin Tamir nimmt als Selfmademan nie ein Blatt vor den Mund und Jacobs Vater sowieso nicht.

Was hat das alles mit dem Leben des Autors Foer eigentlich zu tun? Immerhin hat er sich von seiner Frau, der bekannten Autorin Nicole Krauss, getrennt, obwohl sie das Vorzeigepaar der New Yorker Gesellschaft waren. Er schlägt sich beruflich mit den gleichen Probleme herum wie sein Protagonist und fragt sich gleichzeitig, was ist das eigentlich, die Heimat.

„Heimat kann ein Beruf sein, eine Beziehung, die der Eltern zu ihren Kindern oder eine romantische Liebesgeschichte. Heimat kann eine Kultur sein oder eine Familie. Aber immer ist Heimat der Ort, von dem man sagen kann: Hier bin ich.“

\“Hier bin ich“ ist ein Zitat aus dem Alten Testament. Es ist die Antwort, die Abraham gegeben hat, als Gott ihm befahl, seinen Sohn Isaac zu opfern. Da steht er, unerschütterlich in seinem Glauben an Gott. In der Familie von Jacob und Julia fehlt dieser unerschütterliche Glaube: der Glaube an Gott, der Glaube an die Familie, der Glaube an die Liebe. Und dann geschieht noch ein Katastrophe, ein Erdbeben erschüttert Israel. Alle Juden sollen helfen und auch Jacob fragt sich, ob er vor Ort etwas tun könnte.

Auf fast 700 Seiten findet sich nun geballte Redelust und vor allem ziemlich ironische Kommentare und Dialoge zu den Fragen unserer Zeit, die nicht gerade einfach zu beantworten sind und manchmal nicht in die Tiefe gehen, sondern eher im luftleeren Raum stehen. Sicher braucht man einen langen Atem, um dieses Buch zu bewältigen, dessen Autor nach der amerikanischen Identität und Realität fragt und den Blick nach Israel erweitert und darüber hinaus.