Benedict Wells: Hard Land, Diogenes Verlag, Zürich 2021, 352 Seiten, €24.00, 978-3-257-07148-1
„Ich stellte mir vor, dass das eigene Ich aus vielen Puppen bestand, aus mutigen und ängstlichen und stillen und lauten, und überall hingen die Fäden. Doch man konnte nie sehen, wer sie in der Hand hielt. Wer der innere Puppenspieler war.“
Der fünfzehnjährige, sehr schüchterne Samuel Turner lebt im erzkonservativen Grady mit den angeblich werbewirksamen neunundvierzig Geheimnissen in Missouri. Seine Eltern sorgen sich, da Sam keine Freunde hat und unter Angststörungen leidet. Sams Mutter arbeitet in einem Buchladen und ist seit vier Jahren schwer krank. Sie leidet unter einem bösartigen Tumor im Kopf. Finanziell geht es der Familie nicht gut, da Sams Vater seine Arbeit verloren hat. Liebt Sam seine Mutter innig, so hat er zu seinem Vater ein eher distanziertes Verhältnis. Sams Schwester Jean hat bereits das Haus verlassen und lebt als erfolgreiche Drehbuchautorin in L.A.. Jean und ihr Vater sind ein gutes Team, Sam fühlt sich immer ausgeschlossen, wenn seine Schwester einige wenige Male nach Hause kommt.
Um in den Sommerferien 1985 nicht zu seiner Tante Eileen und den verhassten Cousins fahren zu müssen, nimmt er einen Job im alten Kino Metropolis an, dass zum größten Teil Arthouse Filme zeigt. Er muss die Filme in den Projektor einlegen, die Kasse und die Popcornmaschine bedienen. Zu Beginn hält sich Sam sehr zurück. Die drei anderen ca. zwei Jahre älteren MitarbeiterInnen Cameron, Brand und Kirstie schüchtern ihn eher ein. Doch Kristie kennt Sams Mutter, sie liebt den Buchladen und kennt alle möglichen ersten Sätze aus Büchern auswendig. Die Jugendlichen haben Mitleid mit dem stillen Sam und spüren, dass er sehr verletzlich ist. Und so nehmen sie ihn unter ihre Fittiche und schleppen ihn überall dahin mit, wo er schon immer hinwollte, z.B. in Larry’s Corner. Nach und nach wird Sam „vom Stamm der Mäuse“ ( klein, schmächtig, zapplig ) auch immer trinkfester, denn Alkohol trinken gehört zu den vielen Ritualen und Spielen, die Kristie, Cameron und Brand, den alle Hightower nennen, sich ausdenken. Immer weniger mit seinen Ängsten konfrontiert, wird dieser Sommer zu einer fantastischen Zeit. Sam sieht Filme, die ihn nachhaltig beeindrucken, wie „Die 12 Geschworenen“, „Zurück in die Zukunft“ oder französische Filme der „Nouvelle Vague“. Immer enger wird auch Sams Kontakt zu Kristie, die gern Spiele erfindet, leidenschaftlich und bestimmend sein kann, zu Cameron, der gern provoziert und zu Hightower, der eher zurückhaltend ist und Sam zu sportlichen Aktivitäten anspornt. In langen Gesprächen debattieren die Jugendlichen über viele Fragen, wer sie eigentlich sein wollen, wie ihre Ziele sind, was das Leben so bringen kann. Obwohl Kristie ihren Freund Mason hat, spielt sie ein bisschen mit Sam, der viel kleiner als sie ist. Sam ist total verknallt. Er beginnt Verse zu schreiben,
Trotz all der neuen Ereignisse bangt Sam um seine Mutter. Als er zu seinem fünfzehnten Geburtstag nur mit seinen Freunden abhängt, geschieht das Unglück. Sams Mutter stirbt.
Benedict Wells setzt in seinem Roman ganz unterschiedliche Themen, es geht um Freundschaft, erste Liebe, erster Alkohol- und Drogenkonsum, Gespräche über Filme und Literatur ( „Hard Land“ 90 Gedichte in fünf Akten ), aber auch eine schwierige Vater-Sohn-Beziehung und die tiefe Trauer um die geliebte Mutter.
Der Autor, der heute in Zürich lebt, erzählt aus der Ich-Perspektive von einem Jugendlichen auf dem mühsamen Weg in die Erwachsenenwelt, in der er jedoch über Grenzen gehen wird. Das Besondere an diesem Roman ist der Erzählton. Benedict Wells schreibt temporeich und findet für die unterschiedlichsten Situationen, aber auch Beschreibungen von Sams Umwelt treffende Sprachbilder.
„Mein Vater war mir oft wie eine heruntergelassene Jalousie vorgekommen. Doch an jenem Mittag konnte ich zumindest durch die Ritzen spähen.“