Katharina Höftmann: Erst wenn du tot bist, Berlin Verlag TB, Berlin 2016, 304 Seiten, €9,99, 978-3-8333-1028-7

„Das hier war doch heftiger als ein Facebook-Profil durchzuscrollen. Sie drang in die Intimsphäre eines anderen Menschen ein.“

Fanny Wolff muss sich von ihrem „Hochgeschwindigkeits-Leben“ als Kriegsreporterin verabschieden. Als die Redaktion sie nach Syrien schicken will, streikt ihr Körper. Panikattacken und extreme Angstzustände erschüttern die 34-Jährige. Nun lebt sie wieder in ihrer Heimat in Stralsund und arbeitet immerhin als stellvertretende Chefredakteurin bei der Ostsee-Zeitung. Fannys Vater, wenn er denn mal aus seiner Bücherwelt auftaucht, hält diesen Karriereknick für äußerst bedenklich. Fannys Mutter hat es vorgezogen, den realitätsfernen und unselbständigen Ehemann zu verlassen und ist ins Ferienhaus gezogen.

Gleich am ersten Tag entdeckt die junge Frau auf ihrer Jogging-Tour eine Leiche. Es handelt sich um die 23-jährige Melanie Schmidt, die mit dem Auto angefahren ins Meer geworfen wurde. Fannys Chefredakteur setzt sie gleich auf diese Geschichte an, zumal er weiß, dass seine Frau, die im Jugendamt arbeitet, so einiges über Melanie Schmidt erzählen könnte. Stralsund ist ein Dorf, denn durch diesen Fall trifft Fanny auch ihren Zwillingsbruder Lars, der als Kommissar tätig ist. Der Kontakt zu Lars ist nicht mehr so intensiv seit er mit Kathrin verheiratet ist, die Fanny so gar nicht ausstehen kann.

Melanie Schmidts Facebook – Einträge erzählen allen ungeschützt von ihrem wilden Partyleben. Dabei war die junge Frau, selbst noch fast ein Kind, bereits Mutter von drei Kindern. Allerdings ist Melody den frühen Kindstod gestorben. Der Vater ihres zweiten Kindes ist ein stadtbekannter DJ, mit dem Fanny auch gleich mal im Bett landet.

Alle Recherchen berichten von einem verkorksten Lebensweg, der Melanie immer wieder aus der Bahn geworfen hat. Regelmäßig ist sie als Kind mit ihrer Mutter umgezogen. Die Väter ihrer Kinder wollten in Melanies Leben keine Rolle spielen und Melanies Kinder landeten entweder im Kinderheim, wie Justin oder bei einer Pflegefamilie wie Chiara.
Dass Melanie als sogenanntes „Fickschweinchen“ verpönt war, psychisch krank und immer wieder auf Drogen, stimmt Fanny ziemlich nachdenklich. Laut ihren Nachforschungen muss in Melanies Kindheit etwas Gravierendes passiert sein.
Angeblich wollte Melanie um ihre Kinder kämpfen und sie wieder zu sich holen.
Durch ihre Persönlichkeitsstörung, ständige Stimmungsschwankungen und Depressionen standen die Chancen jedoch ziemlich schlecht.
Doch warum musste gerade diese arme Seele, die von Hartz IV lebte und niemandem etwas tat, sterben?

Fanny holen bei ihrer Arbeit immer wieder ihre psychischen wie physischen Probleme ein, sie träumt von ihren Einsätzen an den Brennpunkten der Welt und verliert sich in der Beziehung zum Dorfcasanova. \r\nUnd doch spürt sie Mitleid mit Melanie und kann nicht fassen, dass Janine, Melanies Freundin, ebenfalls überfahren wird.

„Fanny hatte schon oft in menschliche Abgründe gesehen. Aber sie hatten immer im Zusammenhang mit einer aus der Ordnung gefallenen Umgebung gestanden. Waren in die Gewöhnung an das Böse eingebettet gewesen. Der Gedanke, dass die Verbrechen an Melanie und Janine inmitten von tiefer Normalität stattgefunden hatten, beunruhigten sie sehr.“

Stralsund mit seinen Menschen und seinem Ostseeflair ist die Folie vor der sich menschliche Tragödien abspielen. Katharina Höftmann baut in ihrer Krimigeschichte auf nachvollziehbare Schicksale und bemüht sich nicht um brutale oder überdrehte Handlungen. Sie schaut teils in die DDR-Vergangenheit zurück und beschreibt auch aktuelle, gegenwärtige Geschehnisse, wie die Flüchtlingswelle und deren Resonanz in der Bevölkerung.

In gewisser Weise erinnert Fanny, die letztendlich den Fall unter Einsatz ihres Lebens aufklären wird, natürlich an die Journalistin Annika Bengtson aus den Romanen von Liza Marklund, aber Stralsund ist nun mal nicht Stockholm.