Jan Brandt: Eine Wohnung in der Stadt – Ein Haus auf dem Land, DuMont Buchverlag, Köln 2019, 424 Seiten, €24,00, 978-3-8321-8356-1
„Die meisten wohnten noch immer zur Miete, einer höheren Miete als damals ( und in besseren Wohnungen ), wir lebten immer noch prekär, aber wir machten immer noch das, was wir wollten. War es nicht das, was wir uns erträumt hatten? Wir konnten glücklich sein, und das waren wir auch. Aber Berlin hatte sich verändert, und wir spürten, das wir mit dem Tempo, in dem sich die Stadt in Zukunft verändern würde, kaum mehr mithalten konnten.“
Es ist das Buch zur Stunde und trifft den Zeitgeist der Lebensveränderungen im ganzen Land.
Die Vorstellung, dass man in einer Stadt wie Berlin, turnusmäßig die Mieten anheben kann, ist absurd, denn Löhne oder gar Honorare für Freiberufler steigen kaum. Ganz im Gegenteil, Freiberufler, gerade im Medienbereich müssen immer wieder mit sogenannten Reformierungen rechnen, deren Ergebnis eine Minderung der Zahlungen bedeutet. Menschen in völlig normalen Berufen, wie Busfahrer, Krankenschwester, Friseurin oder Verkäuferin, die zum Teil auch Aufstocker sind, können sich neue Berliner Mieten im Ringbahnbereich der S-Bahn nicht leisten. Wohngeldzahlungen und mehr Bürokratie könnte sich die Stadt sparen, wenn sie die Menschen für ihre Arbeit in der Hauptstadt einfach mal besser bezahlen würde. Eine Großdemonstration vor einigen Monaten spülte den Unmut der Berliner hoch, denn nie war die Aufregung über Mietsteigerungen und die Gentrifizierung bestimmter Kieze so auf ihrem Höhepunkt wie jetzt. Der Senat reagiert mit einem Mietendeckel und doch heißt es im Tagesspiegel vom 10.06.2019:
„Der von der rot-rot-grünen Koalition in Berlin angestrebte „Mietendeckel“ könnte zunächst genau das Gegenteil von dem bewirken, wofür er eigentlich vorgesehen ist. Statt die Mieten wie geplant auf gleichbleibendem Niveau zu halten, könnte auf die Berliner in den kommenden zwei Wochen eine Welle von Mieterhöhungen zukommen.“
„Ein Haus auf dem Land / Eine Wohnung in der Stadt: Von einem, der zurückkam, um seine alte Heimat zu finden / Von einem, der auszog, um in seiner neuen Heimat anzukommen“, so heißt der Doppelroman von Jan Brandt. Doppelt, das bedeutet, dass in diesem Buch zwei Bücher stecken. Bis zur Mitte ist es eine Geschichte. Dann muss man das Buch um 180 Grad drehen, um die zweite Geschichte zu lesen. Wie man anfängt, bleibt jedem überlassen. Als Mieter beginnt man vielleicht beim Wohnungsteil, chronologisch wäre das auch der Anfang.
Zog Jan Brandt zum Jahrtausendwechsel nach Berlin, weil die Mieten hier gerade so günstig waren, so verändert sich diese Situation fünfzehn Jahre später gravierend. Sein Kiez, wie der Berliner sagt, oder auch Sehnsuchtsort ist das Bötzowviertel mit seinem Altbaubestand und zentralen Lage zwischen Prenzlauer Berg und Friedrichshain. Aus Ostfriesland, dem Ort Ihrhove, stammend, findet der Autor in Berlin ziemlich schnell Gleichgesinnte, wie den Dichter Jan Wagner und weitere schreibende Freunde. Lyrik war zu dieser Zeit einfach angesagt, Prosa war out. Man veröffentlicht in linken Literaturzeitungen, schreibt an eigenen Projekten, trifft sich am Abend in der Lieblingskneipe. In der Zeit der nicht durchsanierten Wohnungen, wo die Wände noch kahl waren, in den Wohnungen Kachelöfen standen und gebrauchte Möbel keine Schande waren, lebte es sich in Berlin nicht schlecht. Sicher steigt auch mit den Jahren der Anspruch. Ab diesem Zeitpunkt bemerkt man Ratten im Haus, laute Mieter sind in Berlin immer eine Plage und Hausverwaltungen, die sich für nichts zuständig fühlen, keine Seltenheit.
Indem Jan Brandt seinen Lebensweg beschreibt, streift er auch die gesellschaftspolitische Entwicklung in Berlin, denn diese wird geprägt werden von Bankenskandalen und eingefrorenen Löhnen. Hat Berlin nicht im Zuge der Finanzskandale unter der CDU 140 000 Wohnungen mal so verscherbelt und dann vergessen, dass der soziale Wohnungsbau gerade in Berlin eine wichtige Rolle spielt. Der Autor als Mieter hat so seine Ansprüche ( mindestens drei Zimmer, 100 m², unter 1000 € Miete ) und kann diese auch verwirklichen, bis sein Vermieter 2015 Eigenbedarf anmeldet.
Und nun beginnt die ernüchternde Jagd nach einer Wohnung, die räumlich ausreichend und vor allem bezahlbar ist. Wenn sich 200 bis 300 Leute bei Wohnungsbesichtigungen drängeln, dann sind die Chancen für jemanden mit der Berufsbezeichnung Schriftsteller ziemlich gering. Die Idee, dem Vermieter nachzuweisen, dass er die Wohnung gar nicht beziehen will, schlägt ebenfalls fehl.
Immer wieder versucht der Autor, mit den Vermietern eine verbindliche Ebene zu finden, zumal eine der Wohnungen, die er sich ansieht, seine eigene vor einigen Jahren ist. Aber auch diese verzweifelten Hilfsaktionen führen nicht zum Erfolg. Die Unsicherheit begleitet den Autor bis ans Ende des ersten Buches, auch wenn er seine eigenen vier Wände finden wird. Für wie lange steht in den Sternen.
Im zweiten Buch dreht sich alles um die Vorfahren von Jan Brandt und die aussichtslose Hoffnung, das Haus des Urgroßvaters zu retten. Die finanziellen Mittel fehlen einfach und der Autor selbst fragt sich, warum er diesmal so der Heimat verbunden ist, der er als Jugendlicher immer entfliehen wollte.
„Der Sinneswandel, den ich vollzogen hatte, war das Ergebnis meines Lebens: eine aus der eigenen Kinder- und Beziehungslosigkeit resultierenden Sehnsucht nach Stabilität und Kontinuität. Klassische Midlife-Crisis. Ich hatte mein Zuhause verloren, emotional und buchstäblich, und in Berlin eine existentielle Obdachlosigkeit erfahren ….“
Wanderte der Großvater einst in die USA aus und kehrte zurück, so fühlt sich der Autor als Wiederkehrer seines Verwandten. Aber dieser eher emotionale Teil kann nicht über die Tatsache hinwegtäuschen, dass niemand, nicht die Familie, nicht die Facebook-Freunde Geld für ein altes Haus erübrigen wollen. Der Abriss ist längst beschlossen, der Neubau auf dem Grundstück ebenfalls.
Diese Mischung aus biografischen Anteilen und sachlicher Fakten machen die Lektüre so anregend. Mal registriert Jan Brandt ganz klar, wie die Lage der Dinge ist und dann kippt der Text und plötzlich kommt der Mensch hervor, der sich um seine Existenz und Lebensideale sorgt.
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