Antoine Laurain: Eine verdächtig wahre Geschichte, Aus dem Französischen von Claudia Kalscheuer, Atlantik Verlag, Imprint bei Hoffmann und Campe 2022, 207 Seiten, €23,00, 978-3-455-01202-6
„ An diesem Abend wird es im Wald einen Verlierer geben. Im Licht der Autoscheinwerfer wird ein Mann auf den Knien liegen, in seiner Stirn ein rotes Loch. Um ihn herum werden die Seelen der Igel, der Nattern und der Katzen schweben, die er auf den Straßen überfahren hat. Er wird der Igel, die Natter und die Katze sein. Er wird genau wissen, warum er da ist.“
Dieses Zitat ist ein Auszug aus einem Roman „Die Zuckerblumen“, der aus hunderten unverlangt eingesendeten Manuskripten an einen französischen Verlag herausragt. Camille Désencres ist die Autorin oder der Autor, das ist nicht ganz klar, denn niemand weiß, wer diese Person überhaupt ist. Jeglicher Kontakt, den die Leiterin der Manuskriptenabteilung, Violaine Lepage, einleiten konnte, ging über E-Mails. Der Vertrag wurde per Post zurückgesendet. Seltsam ist nur, wie hilflos aggressiv Violaine auf das Abtauchen des Autors / der Autorin reagiert. Als gäbe es da irgendeine Verbindung, die Violaine allerdings nicht öffentlich machen möchte. Als dann der schmale Roman „Die Zuckerblumen“ auch noch für den Prix Goncourt in die engere Auswahl gelangt, beginnt Violaine langsam in Panik zu geraten. Wenn sie ehrlich ist, dann beginnt ihr Leben irgendwie auseinanderzudriften. Sie überlebt schwer verletzt einen Flugzeugabsturz, glaubt, sie könne mit Marcel Proust eine Unterhaltung führen, bei der er ihr sogar antwortet und klagt über Gedächtnislücken. Und dann noch dieser Roman, der ihre Karriere, die sie sich so hart erarbeitet hat, beenden könnte. Finanziell ist sie abgesichert, aber ihr Ruf in der Verlagswelt wäre erschüttert.
Nach und nach erfährt der Lesende immer mehr über Violaines Leben. Sie stammt aus der Normandie und konnte sich über Männerbekanntschaften ihren Weg nach Paris und in eine schöne Wohnung ebenen. Allerdings ist der Wohnungsbesitzer Charles schwul und auch noch der Verlagsleiter, der das Potenzial in Violaine entdeckt hat.
Doch dann steht plötzlich nach der Veröffentlichung von „Die Zuckerblumen“ die Kommissarin Sophie Tauche im Verlag und fordert den Namen des Autors oder der Autorin. Alles was im Roman geschildert wird, geschieht auch im wahren Leben. Zwei Männer werden kniend mit einer Luger P08 erschossen aufgefunden. Ein dritter, ein Taxifahrer wird ebenfalls so gefunden. Es scheint ein Racheakt zu sein, von dem auch der Roman berichtet. Ein vierter Mann könnte das nächste Opfer sein. Doch was hat der fiktionale Roman, der in einer durchaus eigenwilligen Sprache geschrieben wurde, mit den Morden zu tun. Und wer ist der Autor oder die Autorin, die offenbar ein Geheimnis hütet. Oder ist doch alles nur ein Racheakt der Drogenmafia, in die die drei Toten verwickelt sind?
Antoine Laurain hält die Spannung bis zum Ende und zur Auflösung all der Rätsel aufrecht und umkreist fast liebevoll das Verlagswesen und die Menschen, die sich mit Literatur beschäftigen.