Jo Nesbø: Durst – Ein Fall für Harry Hole, Aus dem Norwegischen von Günther Frauenlob, Ullstein Verlag, Berlin 2017, 620 Seiten, €24,00, 978-3-550-08172-9
„Es war weniger als eine halbe Stunde her, dass der andere angerufen und ihn gewarnt hatte, dass die Polizei seinen Aufenthaltsort und den Namen kannte, den er nutzte. Er müsse verschwinden. Valentin hatte nur die wichtigsten Sachen gepackt und das Auto stehenlassen, das es auf seinen Decknamen angemeldet war.“
Als die leitende Chefermittlerin Katrine Bratt in die Osloer Wohnung kommt, in der die Anwältin Elise Hermansen ermordet wurde, bietet sich ihr ein seltsames Bild. Die Tote wurde nicht nur missbraucht, sie wurde auch mit einem Eisengebiss gemartert. Und es fehlt bei der Obduktion der Leiche gut ein halber Liter Blut. Bei dieser einen Leiche soll es nicht bleiben, denn der Mörder macht seine Bekanntschaften über die sozialen Netzwerke. Scheinbar wahllos sucht sich der Mörder seine Opfer, um sie zu missbrauchen und auszusaugen. Das Wort Vampirismus steht im Raum und stellt die Polizei vor ungeahnte Schwierigkeiten. An der Seite von Katrine arbeiten Truls Berntsen, ein in die Jahre gekommener fauler Kommissar und Anders Wyller, gerade frisch von der Polizeischule entlassen und voller Tatendrang. Berntsen wird es dann auch sein, der sich klammheimlich mit seinen Informationen an die Presse wendet, um nebenbei noch Geld zu verdienen. Zu brisant sind die Hintergrundfakten. Der Polizeipräsident, Mikael Bellmann, hat Truls Berntsen den Posten verschafft, da beide einfach zu viel voneinander wissen. Aber Bellmann will Karriere machen und Justizminister werden, das heißt der Fall muss schnell geklärt werden. Und so bittet er Harry Hole um Hilfe.
Aber Kriminalkommissar Hole, der einst zu viel getrunken hat und immer noch durch seine tolle Stimme auffällt, hatte eigentlich geschworen, sich aus der Polizeiarbeit herauszuhalten.
Er ist mit Rakel, einer Juristin, verheiratet und unterrichtet an der Polizeihochschule. Alle bewundern den riesig großen Mann und sie erwarten viel von ihm, denn irgendwie scheint der Fall mit ihm zu tun zu haben. Hole steigt ein, stellt ein kleines Team mit einem Fachexperten für Vampirismus zusammen und beginnt zu ermitteln. Er weiß, dass der Wirt der Kneipe, Mehmet Kalak, in der Elise zuletzt einen Mann getroffen hat und offenbar vom Mörder beobachtet wurde, ihn gesehen haben muss. Hole hofft auf sein Erinnerungsvermögen, kauft kurzerhand seine Kneipe und bittet Mehmet ins Dampfbad zu gehen, wo der Mörder durch seine markanten Tätowierungen aufgefallen ist. Das soll ihm zum Verhängnis werden. Aber Harry Hole ereilt mitten in der Jagd auf den Mörder ein Schicksalsschlag. Seine Frau Rakel erkrankt schwer und wurde ins Koma versetzt.
Und noch ein junges Mädchen, dass ebenfalls vom Mörder missbraucht, aber nicht getötet wurde, hat sein Angesicht gesehen. Sie vertraut sich ihm an und so kann die Identität festgestellt werden. Es ist Valentin Gjertsen, den Harry Hole seit gut drei Jahren sucht. Trotz einiger Gesichtsoperationen wird er erkannt. Problematisch jedoch wird nur, dass hinter dem blutsaugenden Mörder noch eine andere Person steckt und die scheint unentdeckt, in der Nähe von Harry Hole zu agieren. Jo Nesbø sagte einmal in einem Interview:
„Auch wenn ich sicher nebenbei ein Porträt der norwegischen Gesellschaft in meinem Büchern entwerfe. Doch das ist sekundär. Mich interessiert, weshalb Menschen tun, was sie tun. Ihre Abgründe, ihre Dämonen, ihr Wahnsinn.“
Und mit dem Wahnsinn nicht nur eines Mörders wird der Leser auf nervenaufreibende Weise konfrontiert. Jo Nesbøs Täter spielt nicht nur mit Harry Hole, er spielt auch mit dem Leser, seiner Wahrnehmung und seiner Kombinationsfähigkeit. Durst haben alle: Harry Hole auf den unerlaubten Drink und der Täter auf Blut.
Schreibe einen Kommentar