J. Ryan Stradal: Die Geheimnisse der Küche des Mittleren Westens, Aus dem Amerikanischen von Anna-Nina Kroll, Diogenes Verlag, Zürich 2016, 422 Seiten, €24,00, 978-3-257-06975-4
„Erster Gang – Sautierte Zanderfilets auf Golden – Bantam- Succotash ( Zuckermais / rote Zwiebel / grüne Blule-Lake -Bohnen ) ….“
Ein Auszug aus dem Pop-up-Dinner von Eva Thorvald, auf das, um es zu genießen, Menschen jahrelang warten und hohe Summen zahlen. Doch wer ist diese junge Frau, die ganz Minnesota mit ihrem Essen betört?
In mehreren Episoden und in Zeitsprüngen verfolgt der amerikanische Autor den Lebensweg dieser ungewöhnlichen Köchin. Mal steht sie selbst im Zentrum der Geschichte, mal wird sie von anderen Menschen beobachtet und eingeschätzt.
Ihren wahren Vater, einen engagierten Koch, der sie sehr geliebt hat, hat Eva nie kennengelernt, denn er ist an einem Herzinfakt gestorben, da war sie nur wenige Monate alt. Kurz zuvor hat sich ihre Mutter mit einem gutaussehenden Sommelier in Richtung Australien aus dem Staub gemacht. Sie wollte einfach diese Mutterrolle nicht ausfüllen und ob sie ihren Mann geliebt hat, bleibt offen. Eva wurde dann vom jüngeren Bruder des Vaters Jarl und seiner Frau Fiona aufgezogen, die eher Fast Food liebten als ein gesundes Essen. Ihr Cousin Randy, ein junger Mann mit Drogenproblemen und ihre Cousine Braque, die sie eigentlich für ihre Geschwister hielt, stehen ihr immer zur Seite und werden sie bei ihrem letztendlich erfolgreichen Unternehmen unterstützen.
Ziemlich stämmig ist Eva als Kind und sie weiß sich mit Chiliöl zu wehren, wenn die Jungs sie nerven. Eva hat einen ausgezeichneten Geschmackssinn, der nicht nur ihr auffällt. Da die Familie nie viel Geld hat, geht sie gern in Restaurants arbeiten und lernt dabei vieles, was sie beim Kochen später anwenden kann. Eva orientiert sich an der regionalen Küche und favorisiert frische Zutaten. Sie entwickelt einen Sinn fürs Geschäftliche und beginnt mit Dinnerpartys, auf denen sie kocht und Leute einlädt. Das erste Essen sollte für den kranken Jarl und seine Arztrechnungen sein, um den sie sich gekümmert hat, obwohl sie inzwischen wusste, dass er nicht ihr wahrer Vater war. Loyal, ohne Allüren und bodenständig wirkt die junge Frau. Ihr Erfolg jedoch ruft auch Neider auf den Plan.
Zuletzt wird auch Evas Mutter auf die Tochter aufmerksam, zumal sie auch als Sommelier arbeitet. Zurückgekehrt aus Australien nimmt sie an einem Pop-up-Dinner teil, dass am Ende wie ein Reigen der Menschen und Gerichte wirkt, die sie bisher begleitet haben.
Vieles muss der Leser sich an biografischen Details bei diesem konventionell, sehr unterhaltsam erzählten Debütroman dazudenken, aber das macht den Reiz der Geschichte aus, denn J. Ryan Stradal psychologisiert nicht. So wie der Leser in den Lebensabschnitt eintaucht, so verlässt er ihn auch wieder und manche Figuren tauchen in folgenden Episoden wieder auf. Eva ist eine interessante Protagonistin, die sich nie in den Vordergrund drängt. Sie erobert sich ihren Platz in einer Gesellschaft, in der das feinsinnige Essen, jedes Lebensmittel wird durch pompöse Namen erhöht, plötzlich mehr Raum einnimmt als eine kluge Konversation. Und doch steht hinter all dem exklusiven Pomp ein Mensch, dessen Geschichte sich einfach gut liest und die amerikanische Gesellschaft des Mittleren Westens in den Mittelpunkt rückt.
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