Jan Seghers: Der Solist, Rowohlt Hundert Augen, Hamburg 2021, 234 Seiten, €20,00, 978-3-498-05848-7
„Neuhaus‘ Anspannung wich nur langsam. Mein Gott, dachte er, was für ein Irrwitz man jede Minute in dieser Stadt ausgesetzt ist. Eigentlich müsste man dauernd wegschauen, um es auszuhalten.“
Neuhaus ist ein Mann ohne Vornamen. Als „Solist“ arbeitet er allein und ist nur dem BKA – Präsidenten unterstellt. Neue Aufgaben erwarten ihn in der eigens nach dem Berliner Anschlag auf den Weihnachtsmarkt durch den tunesischen Täter Anis Amri eingerichteten Sondereinheit Terrorabwehr, kurz SETA genannt. Kaum am Tempelhofer Feld angekommen, wartet auch schon der erste Fall. Am Fraenkelufer gegenüber der Synagoge wurde David Schuster, ein schwuler Jude ermordet. Ein Bekennerschreiben im Namen Anis Amris befindet sich in der Nähe des Opfers. Auch wenn Neuhaus seinen Kollegen gegenüber eindeutig betont, dass er allein arbeitet, gesellt sich die Deutschtürkin Suna – Marie, seltsamerweise wegen eines verletzten Auges Grabowski genannt. Sie lässt Neuhaus ein Anis Amri – Dossier zukommen.
Parallel zu den Geschehnissen rund um den wortkargen Neuhaus weiß der Leser bereits, dass ein Sympathisant namens Salah durch einen noch Unbekannten zu dem Mord an Schuster angestiftet wurde. Salah fühlt sich dazu berufen, nach Amri „Großes“ zu vollbringen.
Ebenfalls wird der Leser mit dem achtzigjährigen Nikolas Junker bekannt gemacht, der luxuriös auf der Halbinsel Schwanenwerder in Wannsee residiert. Als Ehrenpräsident der Partei „Der Aufrechten“ hält er die Zügel in der Hand.
Jan Seghers verfolgt in diesem Roman Anis Amris Weg nach Deutschland, seine abscheuliche Tat und vor allem den frühzeitigen Abbruch der Observierung durch die polizeilichen Organe einige Monate vor der grausigen Tat am Breitscheidplatz. Mit verfremdet real lebenden Personen, möglichen Verfehlungen des Verfassungsschutzes und anderen staatlichen Organen, gesellschaftspolitischen aktuellen Konflikten und fiktiven Figuren konstruiert der Autor nun einen Plot rund um die offensichtlichen Hinrichtungen an drei Personen. Eine ist der charismatische, aber nicht allseits beliebte Schuster, die andere Person ist die Anwältin Nuray Arslan, die mit Personenschutz leben muss. Sie führt in den Augen der Auftraggeber zum Mord ein offenbar amoralisches Leben als Muslima. Getötet wurden beide mit einem Schuss in den Hinterkopf und im Namen des „Kommando Anis Amri“. Im Plänterwald wird ebenfalls mit Kopfschuss Oskar-Maria Prechtl, CDU Politiker und parlamentarischer Staatssekretär im Innenministerium aufgefunden.
Wer diese Personen wirklich sind, spielt für den Plot nur eine zweitrangige Rolle.
Neuhaus und Grabowski recherchieren nun und finden neben Verfehlungen der polizeilichen Organe die richtigen Spuren, um dem Attentäter immer näher zu kommen. Entgeht Neuhaus einem Anschlag, der eigentlich dem Leiter der SETA galt, so wird schnell klar, dass Neuhaus mit der versteckten Autobombe gemeint war.
Zum Glück kennen Neuhaus wie Grabowski genug IT-Experten, um dem Täter und seinen Hintermännern auf die Schliche zu kommen.
Jan Seghers grob konstruierte Geschichte rund um den „einsamen Wolf“ Neuhaus, der melancholische Musik von Nina Simone, Leonard Cohen oder Bob Dylan mag, liest sich flüssig, am Puls der Zeit, aber in allem zu vorhersehbar. Seine kollegiale Beziehung zur deutschtürkischen, ziemlich taffen Polizistin folgt der politischen Korrektheit, auf die wohl kein Autor mehr verzichten kann. Jede Figur steht als lebloser Statist für ein gesellschaftliches Problem und wird innerhalb der Handlung nur hin-und hergeschoben. Wer diese Menschen sind und warum sie so agieren, scheint Jan Seghers kaum zu interessieren. Wie ein roter Fanden ziehen sich dokumentarische Geschichten über Judenfeindlichkeit, Frauenfeindlichkeit und Rassismus durch die temporeiche Handlung. Das mag redlich sein, aber ein wirklich spannender Krimi auch mit einer nicht allzu glamourösen Hauptdarstellerin, der Stadt Berlin, wird daraus nicht.