Michelle Richmond: Der Pakt, Aus dem Amerikanischen von Astrid Finke, Diana Verlag, München 2019, 557 Seiten, €12,99, 978-3-453-35996-3



„Und doch versuche ich, wie ein Computer, der im Hintergrund endlos Pi ausrechnet, immer noch verzweifelt, einen Ausweg aus dem Pakt zu finden. Ich ahne, dass es Alice genauso geht.“

Sie sind glücklich, sie werden heiraten und ein Leben lang zusammenbleiben – so schön, so gut, aber eigentlich nicht realistisch. Wie viele Ehen scheitern? Wie viele Ehen sind nach Jahren wirklich noch glücklich und müsste man, wenn nicht mehr alles rund läuft, nicht die Konsequenzen ziehen? Was sollte jeder tun, der eine Ehe eingeht?

Um diese Fragen kreist dieser gut konstruierte Thriller und entwirft die Idee eines unheilvollen, durchaus nobel gemeinten Paktes, den gut betuchte Ehepaare eingehen, ohne zu ahnen, was sie erwartet.
Auch Alice und Jake sind so ein Paar, das in San Francisco lebt. Als Ich – Erzähler berichtet Jake von seiner Beziehung zur wilden, attraktiven Alice, die Jake unbedingt heiraten will. Bevor sie als Anwältin Karriere macht, musizierte Alice in einer Band. Sicher spielt unterschwellig immer die Angst bei Jake eine Rolle, dass sich Alice vielleicht mit ihm, der als Therapeut für Jugendliche aber auch Ehepaare arbeitet, langweilen könnte. Als ein reicher Klient einen Prozess mit Alice Hilfe gewinnt und dabei die engagierte Juristin kennenlernt, lädt sie ihn kurzerhand zu ihrer Hochzeit ein. Sein Geschenk, eine edle Holzkiste. Hätten Jake und Alice geahnt, was dieses Präsent für sie bedeuten würde, sie hätten es wie die Büchse der Pandora nie geöffnet. Und doch sie akzeptieren den Pakt in der Holzkiste verbunden mit seinem dicken Handbuch und all den Regeln, den sich eine ominöse Irin namens Orla ausgedacht hat. Scheint es zu Beginn, ein Spiel zu sein oder eine charmante Rückversicherung, dass die Ehe ein heiliges Sakrament ist, das man ehren soll, so entpuppt sich die Vertragsunterzeichnung als Horrorszenario.

Zu Beginn klingt noch alles sehr angenehm. In bestimmten Zeitabständen soll man dem Partner ein Überraschungsgeschenk überreichen, auf Reisen gehen und somit die Ehe in Schwung halten, Gespräche führen. Aber Alice ist völlig in der Kanzlei eingebunden. An manchen Tagen sehen sich Jake und Alice gar nicht oder fallen ausgepowert mit mitgebrachtem chinesischen Essen auf das Sofa und sehen Serien. Nach einer Einladung zu einer Party mit anderen Paktunterzeichnern ahnen die beiden, dass mit dem Redeverbot über den Pakt und dem Gefühl, sich ja nicht falsch zu benehmen, ihr Leben in eine Schieflage geraten ist. Als Jake dann auch noch JoAnne, eine ehemalige Kommilitonin, mit der er auch mal kurzzeitig zusammen war, wiedersieht und diese ihm zuraunt, dass sie untröstlich ist, dass sie ihn nicht warnen konnte, beginnt das Unbehagen.
Aus höflichen Einladungen werden unfreundliche Weisungen, denen sogenannte Strafmaßnahmen folgen. So muss Alice, da sie offenbar zu viel arbeitet und nicht genug Zeit in ihre Ehe investiert, ein Armband tragen, dass sie selbst nicht abnehmen kann und sie muss Gespräche mit einem der Paktmitglieder führen. Jeglicher Witz, der sich bisher noch durch Jakes Beschreibungen hindurchzieht, löst sich nun auf, denn er ahnt, dass er in die Fänge einer Sekte gelangt ist. Weitere drastischere Maßnahmen folgen und Alice nimmt alles auf sich. Jake sucht einen Weg, um sich und Alice zu retten, doch ihm wird signalisiert, dass der Pakt und seine Mitglieder Alice‘ berufliche Karriere schnell beenden könnten. Natürlich haben die beiden ein Haus gekauft, sie müssen Kredite bedienen und Jake’s Praxis beginnt, mit Gewinn zu arbeiten. Wie in einem faschistischen Staat ist dieses Pakt-System aus Belobigungen, Maßregelungen bis hin zu physischer und psychischer Folter, Manipulationen und Denunziationen und Gehirnwäsche aufgebaut. Hat Orla wirklich gehofft, dass ihre Idee von der Erhaltung der lebenslangen Ehe so umgesetzt wird? Am Ende eines obligatorischen Gespräches fällt die Aussage, dass bisher niemand den Pakt verlassen hat, zumindest nicht lebendig. Zu diesem Zeitpunkt glauben Jake und Alice noch, dass das ein Scherz sein soll. Ein Irrtum.
Jake versucht nun, Informationen zu sammeln und dazu trifft er sich mit JoAnne, allerdings ohne Alice‘ Beteiligung. Diese Gespräche werden ihm, Alice und JoAnne zum Verhängnis. Völlig konsterniert ist Jake von JoAnnes Persönlichkeitsveränderung, ihrem nervösen Verhalten, ihrer totalen Verängstigung. Mehrere Umerziehungsmaßnahmen scheinen bei ihr auf fruchtbaren Boden gefallen zu sein, sie ist nicht mehr sie selbst. Jake und Alice werden kurzzeitig den Versuch unternehmen, dem Pakt und seinen Häschern zu entfliehen. Aber sie haben keine Chance. Alice wird entführt und Jake sieht nur einen Ausweg, er muss mit Orla, der Initiatorin sprechen.

Absolut spannend liest sich dieser Roman, denn der Leser ist durch Jakes Erzählton ganz nah am Geschehen. Empört erlebt er, wie eine imaginäre Angst sich in das Leben des Ehepaares schleicht und dieses, beide durchschauen ganz klar die fies durchdachten Manipulationen, nicht in der Lage ist, sich aus den Fängen der „Gutmenschen“ zu befreien. Die Organisation weiß genau, wo sie die Daumenschrauben ansetzen und wie sie ihren Willen durchsetzen kann.
Interessant sind die statistischen Informationen über Ehepaare, die so nebenher einfließen, denn Jake selbst berät ja ironischerweise Ehepaare, die sich eigentlich trennen wollen.