Jean-Luc Bannalec: Bretonische Nächte, Kommissar Dupins elfter Fall, Kiepenheuer & Witsch Verlag, Köln 2022, 329 Seiten, €17,00, 978-3-462-05403-3

„Seltsame Vorkommnisse, Erscheinungen des vielgestaltigen Übernatürlichen, die anderswo als außergewöhnlich angesehen werden mochten, waren in bretonischen Sphären ganz gewöhnlich.“

Das registriert Kommissar Georges Dupin vorsichtig mit dem Kopf schüttelnd immer wieder, denn auch hinter seinem neunten Fall in der wundervollen Nordbretagne stecken keine Vorahnungen, Visionen oder Zeichen von schwirrenden schwarzen Vögeln, sondern knallharte Tatsachen und wie so oft ein pekuniärer Grund.
Dieses Mal dreht sich alles um die Familie des Inspektors des Commissariats de Police de Concarneau Kadeg. Seine geliebte, neunundachtzigjährige, eigentlich ziemlich gesunde Tante Joëlle Contel sprach seit einiger Zeit von Ahnungen, die ihren Tod betrafen. Seltsamerweise haben das alle in der Familie ernst genommen und so wunderte es auch niemanden als Kadegs Cousine die Tante tot in ihrem Lieblingsstuhl gefunden hat. Der Wohnsitz der Tante ist die alte Abtei der Engel in Aber Wrac’h mit Gebäuden und riesigem Garten gleich am Meer gelegen, gut erhalten, idyllisch und vor allem millionenschwer. Die Erben sind die vier Geschwister der Tante und Kadeg, den sie wie einen Sohn nach dem Tod seiner Eltern behandelt hat.

Interessant an den Kriminalromanen von Jörg Bong alias Jean-Luc Bannalec, der sich bestens auskennt, ist nun das Eintauchen in die Region um Lannilis und deren Kulturgeschichte. Denn wie immer hat der zweite Inspektor Riwal als Experte und Lokalpatriot, viel zu erzählen. In diesem Band dreht sich alles um die Gewinnung des Cidre, besondere Apfelsorten und die Leidenschaft der Bretonen für ihre Vogelwelt. Auch Joëlle Contel war eine begeisterte Hobbyornithologin, wie ihre pensionierte Schwester und deren Tochter. Ihr arroganter Bruder Viktor jedoch hatte sich ein gut gehendes Cidre-Imperium aufgebaut, dass nun nach der Übernahme durch seinen Sohn Maxime eher in die Schieflage geraten ist. Doch nicht Maxime ist schuldig an der möglichen Pleite, sondern eher das Festhalten des Vaters an alten Traditionen. Als Kadeg aus einer sentimentalen Laune heraus in der Nacht die Abtei der Tante nach ihrem Tod aufsucht, wird er brutal geschlagen und muss ins Krankenhaus. Kurze Zeit später wird der Gärtner der Tante ebenfalls überfallen, allerdings verstirbt er. Seine Frau erleidet daraufhin einen Schwächeanfall. Doch im Krankenhaus stellt sich heraus, dass sie wahrscheinlich vergiftet wurde. Dupin lässt sofort den Leichnam der Tante untersuchen und Riwal findet sogar die Giftquelle im Herbularium der Abtei, die Gemeine Alraune. Niemand konnte ahnen, dass in den berühmten Eintopf der emsigen Köchin Madame Brével nicht nur Kerbel und andere Gewürze getan wurden, sondern auch eine Giftpflanze. Auch wenn das wirklich unappetitlich ist, Dupin hätte beinahe vom Kig Ha Farz gekostet, läuft einem beim Lesen dieses Krimis das Wasser im Mund zusammen. Es geht wie immer um Austern, aber auch Weine, Cidre, für jeden der ihn mag, aber auch köstliche Äpfel, die im warmen Oktober geerntet werden, und vor allem wunderbares Gepäck. Und natürlich rast der Kommissar von einem Café zum nächsten für den Schuss Koffein, der seine grauen Zellen in Schwung bringt.
Bei den Durchsuchungen entdeckt die Polizei, dass aus dem Beobachtungsbuch der Tante Seiten entfernt wurden. Joëlle Contel hatte angeblich im Vogelschutzgebiet nördlich der Halbinsel Sainte-Marguerite einen ausgestorbenen Riesenalk, der dem Pinguin gleicht, gesehen. Für die Region wäre die Entdeckung dieses Vogels eine Sensation. Allerdings hätte die Tante mit der Veröffentlichung dann die Pläne ihres geschäftstüchtigen Bruders Victor gestört, der unbedingt die Region für Vogeltouristen ausbauen wollte. Dupin, immer den Präfekten im Nacken, rast nun von einem Verdächtigen zum nächsten, denn das wahre Motiv für den Überfall auf Kadeg und den Mord an der Tante und ihren Gärtner lässt sich zum Ärger des Kommissars einfach nicht finden. Als sich der Präfekt höchstpersönlich ankündigt, muss sich Dupin wirklich sputen.

Eigentlich möchte man nach dem Lesen des Romans gleich die Koffer packen und Richtung Meer in die Bretagne fahren. Vielleicht sollte man doch bis zum Oktober warten, um dann die sprachlich so präzise, wie poetisch eingefangene Landschaft nebst Menschen zu besuchen.