Gytha Lodge: Bis ihr sie findet, Aus dem Englischen von Kristian Lutze, Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg 2019, 396 Seiten, €14,90, 978-3-455-00620-9

„Die Freunde versuchten, sich gegenseitig zu schützen. Aber vielleicht verschleierten sie damit auch das, was damals wirklich geschehen war. (…) Alles musste Lüge für Lüge aufgedröselt werden.“

Durch Zufall entdeckt ein Kind in einem guten Versteck unter einer Buche in Südengland ein Skelett. Geborgen wird die Leiche von Aurora Jackson, die vor dreißig Jahren gleich in der Nähe von einem Zeltplatz verschwunden ist. Im Umfeld der Leiche hat die Polizei Drogen gefunden.

Im Jahre 1983 hatten sie und die attraktiven, wie sportlich und musisch begabten Freunde ihrer älteren Schwester Topaz im Sommer hier gefeiert. Connor, Benners, Brett, Coralie und Jojo waren damals zwischen fünfzehn und achtzehn Jahre alt. Obwohl Topaz Aurora mitgenommen hatte, reagierte sie auf alles, was das Mädchen sagte, gereizt. Damals haben die Jugendlichen behauptet, sie hätten das Mädchen erst am Morgen vermisst. Keine Rede war davon, dass sie ziemlich viel getrunken hatten, Drogen nahmen und auch zu zweit oder zu dritt miteinander geschlafen haben. Jeder der Jugendlichen hatte Angst vor den Konsequenzen, sollte ihr Verhalten publik werden.
Benners, Sohn reicher Unternehmer, hatte die große Menge an Dexedrin günstig gekauft.

Nun wird der Fall Aurora wieder aufgerollt. DCI Jonah Sheens und seine neue Kollegin DC Hanson beginnen akribisch alles zu durchforsten. Die Freunde hatten sich über die dreißig Jahre nicht aus den Augen verloren, nur Coralie, die wie ein Schatten immer Topaz folgte, lebt abseits in London. Topaz und Connor hatten geheiratet und kamen oft aus Edinburgh angereist.
Alle sechs haben sich beruflich etabliert. Brett war sogar ein erfolgreicher Sportler, Benners hat sich erstaunlicherweise zum konservativen Parlamentsabgeordneten entwickelt und Jojo wurde Landschaftsgärtnerin. Nach und nach konfrontieren die Polizisten in ihren Verhören die Freunde mit ihren ersten Aussagen und sie alle müssen sich erneut an den Abend und den Morgen des Verschwindens erinnern. Doch wie klar sind Erinnerungen nach dreißig Jahren? Warum hat Topaz nicht erzählt, dass sie am Nachmittag den Englischlehrer getroffen hat, der Aurora unbedingt fördern wollte.

Gytha Lodge verfolgt in ihrem Krimi-Debüt zwei Handlungsebenen. Zum einen wird mit genauen Zeitangaben vom Treffen der Freunde vor dreißig Jahren berichtet, zum anderen ist der Leser an der Seite der Ermittler und begleitet diese bei ihrer Arbeit und ihren Gedankengängen.
Natürlich schwebt über allem die Frage: Wurde Aurora wirklich getötet? Ist sie an einer Überdosis verstorben? Wer von den Freunden könnte der Mörder sein?
Als klar wird, dass Aurora laut Knochenfunden vergewaltigt wurde, rückt die Mordthese in den Mittelpunkt der Befragungen.

Neben dem Kriminalfall lässt die britische Autorin ganz nebenbei auch das Privatleben der Ermittler durchscheinen. Zwischen DC Hanson und ihrem Vorgesetzten kommt es dann auch zu eine Auseinandersetzung, denn Sheens kannte diese Gruppe Jugendlicher aus der Schule.
Weiterhin wird klar, dass viele der Protagonisten Gewalt auf die eine oder andere Weise erlebt haben.

„Bis ihr sie findet“ ist ein straff inszenierter Kriminalroman, der auf Erinnerungen, aber auch Konzentration und Reduktion setzt, was hervorragend gelingt. Ein nüchterner, dokumentarischer Roman also, der auf jeden Firlefanz, billige Effekte und unnötige Gewaltdarstellungen verzichtet. Trotzdem baut sich eine immer stärker verdichtete Atmosphäre von Bedrohung auf, an deren Ende nur eine Auflösung stehen kann, die den Leser mehr als überrascht.

Man darf gespannt sein, wie das Team um Jonah Sheens weitere Fälle löst.