Anne Holt: Eine Idee von Mord – Selma Falcks dritter Fall, Aus dem Norwegischen von Gabriele Haefs, Atrium Verlag, Zürich 2023, 458 Seiten, €23,00, 978-3-85535-125-1
„Zweieinhalb Stunden später wusste sie mehr, als sie jemals hat wissen wollen. Sie verspürte das dringende Bedürfnis, die Zeit bis gestern zurückzudrehen und auf diesen ganzen Fall zu pfeifen.“
2019 – Als die Privatermittlerin Selma Falck mit ihren Freundinnen Vanja Vegge und Parlamentsabgeordnete Linda Bruseth in Oslo vor einem Café sitzt, geschieht ein Unglück. Linda wird erschossen und Selma am Arm getroffen. Natürlich fragt sich Hauptkommissar Fredrik Smedstuen, wer nun wirklich das Ziel des Attentates war. Selma ist nicht erfreut, dass ihr Name wieder in der Presse erscheinen könnte, denn sie möchte zu gern ihren Enkel sehen. Sie weiß, dass ihre Tochter Anine ihr nicht traut. Als klar wird, dass nur ein Schuss abgegeben wurde und Linda eindeutig gemeint war, reagiert Anine auf die Anfragen der Mutter immer noch extrem unfreundlich. Selma hat in ihrer Vergangenheit wirklich große Fehler gemacht und sie kämpft auch in diesem dritten Roman immer wieder gegen ihre Spielsucht an. Helfen kann ihr nur ein spannender Fall, der diesmal auch sehr persönlich ist.
Aber nicht nur der Tod ihrer Freundin wird Selma beschäftigen, sie bemerkt auch, dass ein Stalker sich in ihrer Wohnung aufgehalten hat. Beängstigend für Selma ist die Tatsache, dass diese Person sie in ihrer Kindheit bereits gekannt haben muss, denn Dinge aus dieser Zeit finden sich plötzlich in ihren vier Wänden. Auch wenn Selma die Schlüssel austauschen lässt, die Bedrohung bleibt. Wie immer bittet Selma ihren alten Freund und ehemaligen Obdachlosen, Einar Falsen, trotz all seiner Zwangsvorstellungen ihr bei der Suche nach dem Eindringling zu helfen. Vielleicht hat Selma ja auch einen Fall abgelehnt und diese eine Person ist darüber so verärgert, dass sie sich rächen will. Die Ermittlerin erinnert sich an einen Mann, der sie beim Joggen angesprochen hat. Es ging um ein dringliches Problem, dass den Jugendschutz in Norwegen betraf. Aber Selma wollte den Fall nicht übernehmen, woraufhin der Mann extrem ausfallend wurde. Als Selma ihren guten Bekannten und Journalisten Lars Winther trifft, erfährt sie vom Unfalltod seines Kollegen Jonathan Herse. Er bittet sie, sich dessen Unterlagen, u.a. auch einen USB-Stick anzusehen. Auch hier dreht sich alles um das Thema Jugendschutz, um die Arbeit der Ämter, die Pflegekinder in Familien geben oder Adoptionen betreuen. Auch Linda hatte einen Abgeordnetenvorschlag im Bereich Jugendschutz eingereicht. Fredrik Smedstuen bittet Selma um Hilfe, denn weitere Morde getarnt als Selbstmorde werden geschehen. Und es scheint nur einen Täter zu geben, der allerdings geschickt vorgeht. Nach und nach wird immer deutlicher, dass alle Morde, die noch passieren, symbolischen Charakter haben. Linda wurde sozusagen als Vertreterin der Staatsmacht erschossen, die kleinwüchsige Richterin Kajsa Breien hat sich angeblich im Wald erhängt. Ihr Tod steht für das Justizwesen. Und der Familienminister wurde vergiftet, ebenfalls ein Regierungsmitglied. Doch was steckt hinter diesen Morden? Auch der Unfalltod des Journalisten scheint auf das Konto des Mörders zu gehen, der gut recherchieren kann und offenbar auch exzellent schießt.
Sehr ausführlich breitet Anne Holt ihre beiden Fälle, zum einen die Morde, zum anderen die Identifizierung des Stalkers aus. Angefüllt wird die Handlung mit den Schilderungen privater Schicksale. Lars Winter muss mit einem tragischen Unglück seines Sohnes fertig werden und auch Fredrik Smedstuens Leben wird näher beleuchtet. Und auch Selma bleibt eine ambivalente Figur, sie lehnt sich gegen ihre inneren Dämonen auf, die sie schnell in den finanziellen Ruin befördern können.
Spannend wie immer und gut durchdacht!