David James Poissant: Sommerhaus am See, Aus dem amerikanischen Englisch von Sibylle Schmidt, btb Verlag, München 2024, 384 Seiten, €16,00, 978-3-442-77263-6
„Aber so ist das mit Familien – das Banale wird zum Bedeutsamen erhoben. Bei drei Paaren, die ein Wochenende unter einem Dach verbringen, wird alles zur Chiffre für etwas anderes.“
Drei Tage verbringt die Familie Starling am Lake Christopher in North Carolina, um vom Sommerhaus und all den Erinnerungen Abschied zu nehmen. Die Eltern Richard und Lisa, erfolgreiche Akademiker und einstige Hippies, entschließen sich ihre verbleibende Zeit im betulichen Florida zu verbringen, was so gar nicht zu ihnen passt. Wobei diese Entscheidung Lisa getroffen hat, die weiß, dass ihr siebzigjähriger Mann sie mit einer viel jüngeren Wissenschaftlerin betrogen hat. Der älteste Sohn Michael hat mit seinen dreiunddreißig Jahren bisher kaum etwas zustande gebracht. Als Alkoholiker, er verleugnet dies, verkauft er Schuhe in einer schäbigen Mall in Texas. Seine Frau Diana arbeitet als Kunstlehrerin. Beide leben eindeutig über ihre finanziellen Verhältnissen, borgen sich ständig Geld bei Richard und werden Eltern. Michael hat es sogar fertiggebracht, Diana eine Abtreibung nahezulegen, denn ein Kind ist zu teuer. Auch Thad, der jüngere Sohn, hat sicher nicht das erreicht, was die Eltern sich erträumt hatten, zumal beide Söhne an der Cornell Universität studieren hätten können. Thad, der Pillen gegen Angst, Depressionen und Psychosen nimmt, aber auch Gras und Kokain konsumiert, schreibt Gedichte und lebt vom phänomenalen Einkommen seines egozentrischen wie sexsüchtigen Freundes Jake Russell, der mit sechsundzwanzig Jahren bereits ein gefeierter Küntler in New York ist. Allerdings hat er schon lang nicht mehr gemalt.
David James Poissant erzählt sprachlich präzise im Präsens und lässt seine literarischen Figuren in Gedankenströmen immer wieder an das im Rückblick so frohe Familienleben erinnern. Alle verbergen Geheimnisse, so wissen Richard und Lisa zum Beispiel nicht, dass sie Großeltern werden. Kaum angekommen, geschieht ein tragisches Ereignis. Ein fünfjähriger Junge stürzt vom Motorboot und ertrinkt. Michael hat noch versucht, das Kind zu retten, verletzt sich aber selbst heftig am Kopf. Dieser furchtbare Unfall scheint ein schlechtes Omen für die Gespräche und Begegnungen der Starlings zu sein. Lisa erinnert sich schmerzhaft an ihr erstes Kind, ein Mädchen, dass nach einem Monat verstorben ist. Plötzlicher Kindstod wurde gesagt, aber die Todesursache kennt niemand genau. Dieses Geheimnis kann Lisa nicht mehr für sich behalten, wobei sie sich doch vorgenommen hatte, es den Söhnen nicht zu erzählen.
Michael ist der einzige, der um das Haus, dass baulich in einem sehr schlechten Zustand ist, trauert.
Seinen Kummer ertränkt er in Touren zu Bars und wird sogar von der Polizei kurzzeitig festgesetzt.
Wie in den alten Zeiten verbringen die Starlings ihre Zeit mit Gesellschaftsspielen oder beim Angeln. Immer öfter geraten sie in Diskussionen, so stellt sich heraus, dass Michael den von allen verhassten Präsidenten gewählt hat. Jeder versucht die Konflikte zu umgehen, und doch können diese nicht länger unter den Teppich gekehrt werden. Thad streitet mit Jake, der seinen Ex-Lover besuchen will, Michael und Diana finden keine gemeinsame Sprache mehr und auch bei Richard und Lisa kann die Affäre nicht mehr übertüncht werden.
Wo ist der Aufschwung der neuen Generation? Sie versinkt in Schulden oder ist unfähig, sich ein eigenes finanziell unabhängiges Leben aufzubauen. Welchen Sinn hatten die Kämpfe der Elterngeneration, wenn sich ein Volk nach einem vulgären, inkompetenten Diktator sehnt?
Dieser fein geschriebene Roman macht wenig Hoffnung, auch wenn klar ist, dass Diana ihre Zwillinge bekommen wird.