Amelie Fried: Der längste Sommer ihres Lebens, Heyne Verlag, München 2024, 432 Seiten,
€22,00, 978-3-453-27298-9
„Vor wenigen Wochen war noch alles in Ordnung gewesen, sie hatte ihr Leben im Griff gehabt und sich zuversichtlich und stark gefühlt. Und nun kam sie sich vor wie in einem bösen Traum, aus dem sie einfach nicht erwachen konnte. Ihr Tochter im Knast, ihre Ehe in der Krise, die Firma in Turbulenzen …. was könnte jetzt noch kommen?“
Claudia Berner ist die Geschäftsführerin eines renommierten Autohauses, dass bereits seit 110 Jahren in dem 60 000 Seelenort Meutlingen im schönen Baden – Württemberg existiert. Seit zwanzig Jahren ist sie mit Martin verheiratet, der als Verkäufer und später Prokurist, immer noch skeptisch beäugt von seiner strengen Schwiegermutter Marianne, in der Firma tätig ist. Die Frauen bei den Berners haben schon immer ihre eigenen beruflichen Zukunftswünsche der Firma untergeordnet. Die achtzehnjährige, bisher so brave Tochter Anouk soll Abitur machen und Spross Julian soll als männliches Mitglied dann die Firma übernehmen. Doch Julian ist mit seinen fünfzehn Jahren mitten in der Pubertät, er probiert so einiges aus, Alkohol, Drogen und den Aufstand gegen die Familie.
Amelie Fried hat einen personalen Erzähler gewählt, der immer wieder aus den Perspektiven der Familienmitglieder auf das Geschehen in diesem Sommer schaut.
Claudia hat Ehrgeiz und sie arbeitet als Stadträtin, obwohl die Maxime im Autohaus heißt, Finger weg von der Politik. Könnte ja Kunden vergraulen. Doch Claudia will nun mit ihren gut fünfzig Jahren Bürgermeisterin werden. Der langjährige bisherige Bürgermeister, Manfred Abele, der gern volksverbunden schwäbischen Dialekt spricht, hat sich in seiner Selbstzufriedenheit eingerichtet, und dieser Meinung ist nicht nur Claudia. Geplant ist, dass Ehemann Martin die Geschäftsführung übernimmt und Ehefrau Claudia ihren Wahlkampf aufnimmt. Martin fühlte sich schon immer in der Familie zurückgesetzt, ihm traut man wenig zu und seine Schwiegermutter lässt ihn das tagtäglich spüren. Die über Siebzigjährige inspiziert wie eine Königin das Autohaus, als wäre es ihr Reich. Claudia zögert mit der Übergabe. Als dann auch noch der Hersteller Huber seine Zweifel an Martins Fähigkeiten anmeldet und Anouk ihr Abitur schmeißt, beginnen die Probleme.
Ins schöne, übersichtliche Meutlingen dringen nun alle Konflikte ein, die auch die äußere Welt bis hin nach Berlin aushalten muss: Klimawandel, Umweltverschmutzung, Energiekrise, der Hass in den sozialen Medien und vor allem „alte weiße Männer“, die an ihren Posten festhalten, ohne wirklich innovativ zu denken. Gut im Griff hat die Stadt allerdings die Flüchtlingspolitik und eine rechte Partei scheint keine wirkliche Rolle im Ort zu spielen.
Pocht der Auszubildende Benny selbstherrlich und ungeniert für sich die „Life – Work – Balance“ ein, d.h. er möchte am Freitag nicht arbeiten, so will Anouk mit ihren radikalen Aktionen eher die Welt retten. Sie hat den selbstbewussten Joshua kennengelernt und so engagiert sie sich mit ihm in der Gruppe „Fünf nach zwölf“. Da Anouk achtzehn Jahre alt geworden ist, können ihre Eltern ihr kaum Einhalt gebieten. Die Gruppe klebt sich auf der Straße fest, auch in Bayern, was polizeilich harte Maßnahmen nach sich zieht. Am Ende wird Anouk vorm Berliner Reichstag hungern, um die Politiker zum Handeln zu zwingen. Für Claudia steht vor allem die Familie und so agiert sie wie jede Mutter, die Angst um ihr Kind hat. Sie erkennt, dass sie ihren auch verzweifelten Wahlkampf mit den Schlagzeilen über die Tochter kaum gelassen führen kann. Sogar ihr Wahlkampfmanagerin und Freundin Ceyda wendet sich ab. Claudias Ehemann zieht die Konsequenzen und kündigt, denn seine Zukunft in der Firma stagniert.
Dass die zum Teil sehr holzschnittartig dargestellten Figuren in dieser harmlosen Romanhandlung dann zum Ende hin alle Konflikte recht positiv lösen können, fordert die Lesenden kaum heraus. Offenbar möchte Amelie Fried ihr Zielpublikum schonen, zumal all die angesprochenen Probleme im Gegensatz zum Mikrokosmos Kleinstadt in diesem Roman in der wirklichen Welt um Längen problematischer sind.