J P Delaney: Die Fremde in meinem Haus, Aus dem Englischen von Sibylle Schmidt, Penguin Verlag, München 2023, 384 Seiten, €16,00, 978-3-328-60288-0
„Je besser irgendwas ist, desto mehr habe ich den Drang, es kaputtzumachen. Vielleicht ist das Hiersein echt der Arschtritt, den ich gebraucht habe. Vielleicht kriege ich hier endlich meinen Scheiß auf die Reihe und kann mich ändern.“
Das sind Annas, ihr Geburtsname ist eigentlich Sky, Gedanken, denen sie immer Taten folgen lässt. Bindungsunfähig und emotional verkümmert scheint die Fünfzehnjährige völlig empathielos jede Zuwendung, jedes Zeichen von Sympathie oder Berührung abzuschmettern. Als Anna, die mit zwei Jahren adoptiert wurde, herausfindet, wer ihre biologische Mutter sein könnte, hält sie nichts zurück. Sie folgt ihr in den sozialen Medien, denn Susie Julus ist eine Backgroundsängerin, die mit einem ebenfalls in der Musikbranche beliebten Songschreiber verheiratet ist. Gabe Thompson hat auch in Bands gesungen und kennt die Szene. Beide haben sich nun in der Nähe von London ein Farmhaus gekauft und führen eine harmonische Ehe. Wäre da nicht Susies schlechtes Gewissen. Immer denkt sie an ihre Tochter, die sie als sie zwanzig war, angeblich kurz nach der Geburt zur Adoption freigegeben hat, um arbeiten zu können.
In Wahrheit hat ein Gericht bestimmt, dass die damalige drogenabhängige Susie als Mutter nicht geeignet war. Doch dieses Geheimnis kann sie nicht mal Gabe anvertrauen.
Als Anna dann eine verzweifelte Nachricht an ihre Mutter schickt, reagiert Susie sofort, und glaubt Anna helfen zu müssen. Anna nennt ihren Adoptivvater das „Monster“ und hat ihm sogar unterstellt, er habe sie unsittlich berührt. Immer wenn Anna nicht weiter weiß, sucht sie in den sozialen Medien einen Weg, um Männer in die Falle der sexuellen Belästigung tappen zu lassen. Um den strengen Regeln im Haus der Adoptiveltern zu entkommen, nutzt Anna Susies schlechtes Gewissen aus und nistet sich bei ihr ein. Sie spielt die artige Tochter, die alles bewundert. Susie ist überglücklich, Gabe eher distanziert, aber er versteht, was in seiner Frau vor sich geht, mit welchen Schuldgefühlen sie ringt und die nun ihrem verlorenen Kind mit Großzügigkeit und Toleranz alles zurückgeben will. Schnell kippt jedoch die Harmonie zwischen Mutter und Tochter in verbale Ausschreitungen von Skys Seite aus um, bis hin zu körperlichen Angriffen gegen Susie. Sky lügt, hintergeht alle und verlangt sogar von Susie, dass sie sich zwischen ihr und Gabe entscheiden müsse. Ihr Druckmittel sind natürlich Susies Schamgefühle und ihre Halbwahrheiten, was ihre Vergangenheit angeht. Sky streut nun Gerüchte über Gabe und fährt mit Kalkül eine Verleumdungskampagne gegen ihn. Doch gegen Susie und Gabe, dem seine Frau nun alles gesteht, kann Sky nicht ankommen, kann beide nicht unter ihre absolute Kontrolle bringen, was die junge Frau extrem aggressiv werden lässt. Gabes Toleranzempfinden Sky gegenüber schwindet, Susie hingegen geht erneut mit offenen Armen auf die Tochter zu. Als Sky dann erfährt, dass Susie schwanger ist, was einem kleinen Wunder gleicht, kann sie vor den körperlich harten Attacken Skys durch Gabe gerettet werden. Sky wird zu einer wahren Gefahr für Susie, die immer bereit ist alles zu verzeihen und Gabe, der nicht ertragen kann, dass er als Pädophiler in den sozialen Medien diffamiert wurde und Susie als Drogenabhängige. Sky wird in einer offenen Jugendeinrichtung aufgenommen, flieht jedoch und taucht bei ihrem biologischen Vater, einem wahren Drogenhändler unter, der alle ausnutzt, sogar seine eigene Tochter.
Als das Jugendamt von Susies Schwangerschaft erfährt, beginnt durch Susies Vergangenheit eine beschämende Prozedur. Allein durch die Ereignisse mit Sky und den häufigen Polizeieinsätzen glaubt das Amt, dass es ein Gutachten erstellen muss, um herauszufinden, ob Susie ihr nicht mal geborenes Kind behalten darf. Ein Skandal, nicht nur für Gabe, den Vater.
Aus den Perspektiven von Susie, Gabe und Sky entsteht vor den Augen der Lesenden ein tragisches Familiendrama, bei dem die Tochter, die Fremde ist und zugleich der Teufel, der alles im wahrsten Sinne des Wortes niederbrennen will. Mag es psychologisch stimmig sein, dass Sky als abgegebenes Kind diese Gefühle und Verhaltensweisen entwickelt, so bleiben auch die Erwachsenen bei JP Delaney in ihrem Verhalten widersprüchlich und nicht fehlerlos.
Eine gefährliche wie explosive Mischung!