Tina N. Martin: Apfelmädchen, Aus dem Schwedischen von Leena Fleger, Blanvalet Verlag, München 2023, 512 Seiten, €16,00, 978-3-7341-1165-5

„Er kann nicht mehr klar denken. Was passiert hier gerade? Wie kann er dem Wahnsinn ein Ende setzen? Dann spürt er, wie Ingrid sich rührt.“

Die ziemlich verschlossene Kommissarin Idun Lind und ihr Partner Calle Brandt, der nie ein Blatt vor den Mund nimmt, werden in Sävast, südöstlich von Boden, zu einem Leichenfund gerufen. Diesen grausigen Anblick werden die beiden nicht vergessen. Eva Vendel, eine beliebte achtundvierzigjährige Lehrerin wird erhängt in ihrem Flur gefunden. Durch ihre Hände wurden Nägel geschlagen. Evas Mann Vidal ist Geschäftsführer eines Energieunternehmens und somit äußerst wohlhabend. Die Tochter von Vidar aus erster Ehe, Nadja, trägt eine Bluse, die wahrscheinlich so teuer ist, wie Calles gesamte Garderobe zusammen. Durch die Ermittlungen erfahren die Kommissare, dass die kaltherzige, attraktive Nadja ihre Stiefmutter gehasst hat. Als Jurastudentin weiß Nadja um ihre Rechte und lässt dies auch die Ermittler spüren. Verzweifelt sucht die Polizei nach einem Tatmotiv. Dass Nadja ein Verhältnis mit Evas erstem Mann Olle hat, verwundert schon niemanden mehr. Seltsam ist nur, dass über Eva in der Nachbarschaft schlecht geredet wird. Niemand hatte bemerkt, dass Olle immer wieder mit neuen Autos zu Evas Haus fuhr, um mit ihrer Stieftochter zu schlafen.

Parallel zu dieser gegenwärtigen Handlung erzählt Tina N. Martin von Viola, die ihren Vater, einen brutalen Schläger, im Jahr 1975 beerdigt. Immer hat die Mutter zu allem geschwiegen. Ihre ältere Schwester Rita verlässt die Familie und Viola heiratet Lars, der sie und ihre gemeinsamen Kinder Tommy und Ingrid, die die Mutter „das Apfelmädchen“ nennt, jahrelang demütigen und schlagen wird. Erst durch anonyme Anzeigen wird das Jugendamt nach neun Jahren auf den Missbrauch aufmerksam. 1996, da ist Tommy sechs Jahre alt und Ingrid vier, können sie ihrem Zuhauses entkommen. Viola und die Kinder leben fortan auf dem Paradieshof, einem Bauernhof, dessen Anführer Mattias Selberg heißt. Tommy wird die Sekte und den Hof später als „gottverlassene Hölle“ bezeichnen. Und wieder schweigt Viola, obwohl sie mit ihren Kindern erneut in einer extrem gewaltsamen Umgebung gelandet ist. Die manipulativ arbeitenden Sektenmitglieder glauben, sie müssen die Gläubigen befreien und dies geschieht durch brutale Gewalt.

Einem Puzzle gleich setzt die schwedische Autorin Tina N. Martin, die ebenfalls in der Stadt Boden an der schwedischen Grenze zu Finnland lebt, wo auch ihr Thriller spielt, zeitlich versetzt und mit umfangreichem Personal ihre spannende Handlung zusammen. Als dann Ellen, ein fünfjähriges Kind, aus einer Kita entführt wird, ahnt Idun nicht, dass dies mit Evas Ermordung zu tun haben könnte. Es stellt sich heraus, dass Evas Vater, der in einem Altenheim lebt, Post bekommen hat. Ein nicht korrekter Bibelvers ist bei ihm angekommen, genau so wie bei den Eltern von Ellen.

Und dann wird auch noch die erwachsene Enkeltochter des ehemaligen Sektenführers Selberg entführt. Auch hier wird den Angehörigen ein falscher Bibelvers zugesandt.

Viele Redundanzen verlangsamen die Dramatik des Handlungsbogen, und einiges wirkt auch zu konstruiert. Es dauert eine ganze Weile ehe die Lesenden erahnen, was hinter Evas grausiger Ermordung und all der Gewalt steckt.

Mütter schauen weg, wollen das Leid der Kinder nicht sehen. Das scheint sich immer und immer wieder zu wiederholen. Auch das Jugendamt geht seiner Fürsorgepflicht nicht nach. Dass Rache das Motiv ist, wird Calle und Idun erst dann bewusst, als sie selbst um ihr Leben fürchten.

Spannend, doch etwas zu ausufernd erzählt!