Herbert Dutzler: Am Ende bist du still, Haymon Verlag, Wien 2023, 312 Seiten, €19,90, 978-3-7099-3418-0
„Du hast dich nie um mich gekümmert, dachte Sabine. Du hast mich immer behandelt wie ein Haustier, das zu blöd ist, ein eigenständiges Leben zu führen. Aber sie war nicht das Kuscheltier ihrer Mutter. Und jetzt wieder dieser selbstmitleidige Ton. Sie, Sabine, war nicht dankbar genug.“
Niemand wünscht sich diese Kindheit, an deren demütigende Szenen mit der übergriffigen Helikopter – Mutter sich Sabine immer wieder schmerzvoll erinnert. Voller Inbrunst und Angst klammert sich die Mutter an das Leben der einzigen Tochter, dass sie in jeder Sekunde zwanghaft kontrollieren und bevormunden muss. Jeder Bereich der Tochter wird von der Mutter akribisch beobachtet und bissig wie bösartig kommentiert. Sie darf keinen eigenen Geschmack entwickeln, keine Entscheidungen treffen, keine der Mutter nicht genehmen Freundinnen haben. Sogar die Auswahl ihres Mannes will die Mutter regeln, indem sie der Tochter die altmodische Idee in den Kopf setzt, dass sie sich an der Universität nicht für ein Studium aufhält, sondern sich einen künftigen Arzt oder Anwalt als Gatten suchen sollte. „Sauberwischen“ ist das Lieblingwort der Mutter. Sie inszeniert sich in jedem Moment als Opfer der Familie, da sie auf ihre Karriere verzichtet hätte und nun voller Hingabe Mann und Kind dient, obwohl sie nicht mal kochen kann. Dabei spielen für sie der Schein eine größere Rolle als das Sein. Alles muss so richtig teuer sein, nach außen darf man sich keine Blöße geben, nur die Äußerlichkeiten haben ein Gewicht, die Außendarstellung steht über allem. Sabines schwacher Vater, der eigentlich nur seine Ruhe will, ist der Ernährer der Familie und er muss die hohen Ansprüche der Mutter und ihre Forderungen nach exquisiten Kleidern, Taschen und Schuhen und exotischen Urlauben erfüllen. Sogar ein Pool muss gebaut werden, damit die Nachbarschaft neidisch ist. Mag den Lesenden das Kind, dass sich in den frühen Jahren kaum gegen so eine Mutter wehren kann, leid tun, so geht man doch auf Abstand, wenn man erfährt, was aus Sabine als Jugendliche und Erwachsene geworden ist. Erzogen in einer vergifteten Atmosphäre zwischen den streitenden Eltern, ab und zu äußert der Vater dann doch seine Abwehr gegen die kreischenden Attacken der Ehefrau, wurde Sabine zu einer manipulierenden, oft lügenden, ihre weiblichen Reize mehrfach einsetzenden Studentin und später unfähigen Lehrerin. Warum Sabine als Studienfach Deutsch als Lehramt gewählt hat, ist unklar, denn sie scheint unter einer Rechtschreibschwäche zu leiden. Beginnt Sabine als Teenagerin, ihre Krallen gegen die Mutter auszufahren, Alkohol zu trinken und Designertaschen der Mutter zu zerschneiden, so kann sie, als sie eine eigene Wohnung besitzt, die Mutter immer noch nicht abschütteln. Diese respektiert Sabines Privatsphäre kaum, bedrängt sie mit ihren Ratschlägen und ist sich für keine Indiskretion zu schade. Als Sabine dann auch noch einen ziemlich praktisch veranlagten, stämmigen, auch dubiosen Mann namens Joe Henderson, kennenlernt, weiß sie, ihn kann sie der Mutter nie vorstellen. Er hat keine Matura und würde sie nur zu gemeinen Äußerungen verleiten. Sabine ist nicht das Bilderbuchkind, dass dann als Erwachsene alle Ideale der Mutter erfüllt.
Absehbar ist, und dann nur eine Frage der Zeit, immerhin spielt Sabine schon als Jugendliche mit Mordgedanken, der Mord an der nervigen Mutter, ausgerechnet zum Fest der Liebe. Der Vater erleidet an Weihnachten einen Herzinfakt und muss ins Krankenhaus.
Alle wissen, dass die ängstliche Mutter nie die Kerzen im Haus hätte brennen lassen, wenn sie ins Bett geht. Als das Haus in Flammen aufgeht, zweifelt der Vater daran, dass nicht doch seine Tochter nachgeholfen hat. Immer mehr gerät Sabine mit ihren Lügen und Manipulationen in eine Enge, aus der sie sich weder durch neue Mordtaten befreien kann noch rechtfertigen.
Es ist ein perfekt getimter Krimi, bei dem keine Zeit bleibt für die Frage, warum man das jetzt liest oder ob nicht etwas anders wichtiger wäre. Die Abgründe der wirklich unsympathischen, psycholigisch genau gezeichneten Figuren faszinieren, zumal der Autor sich nicht dazu durchringen konnte, wenigsten eine positive Eigenschaft der Mutter oder Tochter zugute zu halten. Mag vieles in der Handlung konstruiert sein, das Ende sollte man nicht verpassen.