Maggie O’Farrell: Porträt einer Ehe, Aus dem Englischen von Thomas Bodmer, Piper Verlag, München 2022, 464 Seiten, €24,00, 978-3-492-07176-5
„Sie versuchte, ihre Gedanken zu ordnen: Alfonso, die fortezza, das Abendessen, Baldassare, der im Morgengrauen aufgebrochen ist, der Befehl an Emilia, nicht zu kommen, das Verbot, ihr selbst zu folgen. Was hat das alles zu bedeuten? Was kann ich tun?“
Florenz, Mitte des 16. Jahrhunderts
Ohne große Umwege kommt die nordirische Autorin Maggie O’Farrell sofort auf den spannenden Moment in diesem historischen Roman. Sie geht davon aus, dass die sechzehnjährige Lucrezia de‘ Medici ermordet wurde. Doch warum trachtet man dieser überaus begabten, wie intelligenten Frau nach dem jungen Leben? Sie ist der Meinung, dass sie, isoliert von allen in der Sommerresidenz, zu Tode kommen wird. Wird man sie vergiften oder werden der Herzog und sein Jugendfreund Baldassare selbst Hand anlegen? Der Grund, sie hat trotz einjähriger Ehe mit dem um gute zehn Jahre älteren Alfonso II. D’Este, Herzog von Ferrara, kein Kind gezeugt. Am Ende des Romans berichtet die Autorin in ihrem Nachwort, dass in keiner der folgenden Ehen des Herzogs ein Kind geboren wurde. Wenig ist über Lucrezia überliefert. Die Nachwelt kennt ein Porträt von ihr und das Gedicht „My Last Duchess“ von Robert Brownings.
Nicht chronologisch wird vom Aufenthaltsort des Ehepaares mit einigen Dienern 1561 im winterlichen Fortezza bei Bondeno erzählt, dann wieder in den Zeiten springend von der Kindheit Lucrezias in Florenz. Als fünftes Kind ihrer Eltern, die eine glückliche Ehe führen, fällt das Mädchen mit dem kupferroten Haar doch aus dem Rahmen. Es ist wild, neugierig und vor allem sehr intelligent. Früh schon zeigt sich, wie schnell Lucrezia dem Unterricht, der gar nicht für sie bestimmt ist, folgen kann und sie zeigt Talent beim Zeichnen. Ihr geliebtes Kindermädchen Sofia hat alle Mühe, denn Lucrezia hat schnell die unterirdischen Gänge im Palazzo entdeckt und zu gern lauscht sie an den Wänden. Sie ist eine Tagträumerin und ein Freigeist.
Als ihre Schwester Maria kurz vor der Ehe mit Alfonso II. stirbt, beschließt der Vater aus geopolitischen Gründen, dass Lucrezia mit ihren zwölf Jahren nun den Mann nehmen soll. Zum Glück kann das Kindermädchen Sofia die Eheschließung hinauszögern, denn das Kind ist im biologisch gesehen noch keine Frau.
Nach der Hochzeit genießt Lucrezia dann eine Freiheit in der Sommerresidenz, die sie noch nie verspürt hat. Alfonso erweist sich zu Beginn als liebenswürdig und hofft, dass seine junge Frau sich entspannt. Wie sehr er als Herrscher, sogar in seiner Familie brutal wütet, wird Lucrezia durch ihre Zofe Emilia erfahren. Am Hofe von Ferrara geht es dann für die junge Herrscherin doch förmlicher zu.
Als Lucrezia als Kind zum ersten Mal einen Tiger in der Menagerie ihres Vaters entdeckt, fühlt sie sich zu ihm hingezogen. So wie dieses wilde Tier wird auch sie gejagt werden und letztendlich ihrem frühen Tod nicht entgehen können. Hilfe kann sie nicht erwarten, denn ihre Mutter würde ihr nicht glauben und die Zofe Emilia, die sich heimlich zu ihrer Herrin geschlichen hat, kann nichts ausrichten. Eine Tragödie, die Stoff sogar für den Dichter Tasso, der am Hofe verkehrt, eine Vorlage für ein Drama gewesen sein könnte.
Maggie O’Farrell erzählt vom Schicksal dieser jungen begabten, wie auch durch die Geburt privilegierten Frau, deren Leben nicht länger als sechzehn Jahre dauern durfte, nicht bleiern schwer, sondern bemerkenswert lebendig. Atmosphärisch dicht geschrieben bewegt man sich mit der Hauptfigur durch die Innenräume des Palazzos und in den Gärten der Toscana. Sind die geschichtlichen Zeitumstände gut recherchiert, so lässt die Autorin doch Freiräume beim Fabulieren und sie bringt Farben, Gerüche und die Natur in ihrer ganzen Pracht trotz Tragik der Handlung ins Spiel.