Ursula Poznanski: Stille blutet, Knaur Verlag, Imprint der Verlagsgruppe Droemer Knaur, München 2022, 399 Seiten, €16,99, 978-3-426-22689-6
„Er suchte in ihrem Gesicht nach Anzeichen dafür, dass sie ihm glaubte. Fand kein einziges. ‚Sie hat uns alle reingelegt‘, fuhr er fort.“
Wie gut kenne ich den Menschen, der an meiner Seite lebt? Wie gut will ich ihn wirklich sehen, wenn doch die Arbeit immer wichtiger ist als die Beziehung oder die Karriere? Das fragt sich Tibor Glaser in diesem Thriller, denn er wird auf recht ungewöhnliche Weise die Frau genauer kennenlernen, die er vor gut zwei Monaten verlassen hat. Es war eine schnelle Trennung, denn Tibor, der erfolgreiche Werbefachmann, konnte nicht ertragen, dass seine Freundin Nadine Just ihn wahrscheinlich mit ihrem Chef vom Fernsehsender Quick-TV betrogen hat. Doch entspricht das der Wahrheit? Nadine und er sahen nach außen hin wie ein perfektes, attraktives Paar aus. Innerhalb der Beziehung jedoch brodelte es schon länger. Nadine konnte dann einfach nicht ertragen, dass sie abserviert wurde. Öffentliche Streitigkeiten fanden statt und boshafte Äußerungen wurden getätigt.
Doch nun ist Nadine tot und Tibor hat sie blutüberströmt in ihrer Garderobe gefunden. Anlass für diesen doch eher ungewöhnlichen Besuch war Nadines Auftritt im Fernsehen. Während der Kurznachrichten hatte sie wirklich unkonzentriert gelesen und dann auch noch per Text verkündet, dass sie aus dem Leben scheiden wird. Was so gar nicht zu der jungen, aufstrebenden Boulevardjournalistin, die sich mit jedem und jeder liebend gern anlegte, passte. Die Sozialen Medien überschlagen sich nun in Mutmaßungen, denn weitere Personen kündigen ihren eigenen Tod an und weitere Leichen werden gefunden. Tibor stellt nun fest, dass Nadine während ihrer Partnerschaft ehemalige Freundinnen Tibors, aber auch junge Frauen aus seinem Umfeld mit boshaften Drohbotschaften tyrannisiert hat.
Ermitteln wird in diesem Fall Serafina Plank, die im Kommissariat als einzige Frau neu angefangen hat. Ihrem Kollegen Oliver passt die Zusammenarbeit mit der kleinen, rundlichen Kollegin überhaupt nicht. In feister Manier stellt er sie, wo er nur kann, schamlos bloß. Zwar wehrt sich Fina, doch kann sie kaum punkten und futtert frustriert weiterhin Chips, Pizza und folgt ihrem Ex-Freund in den sozialen Medien, was mehr als wehtut.
Ursula Poznanski rollt diesen Fall über die enorme Wirkkraft der sozialen Medien auf, immerhin glaubt man Bildern mehr als Worten, die immer stärker in das Leben vieler Menschen persönlich eingreifen. Kein Minute vergeht, in der man nicht bei Insta oder hier eher Facebook unterwegs ist. Und natürlich sind auch die Ermittler ständig nur mit dem Netz beschäftigt und müssen einen Berg Daten, sinnlos oder auch nicht, überprüfen. Wie einfach ist es doch, Menschen anonym fertig zu machen. Nadine hatte mit dieser Form der Beschämung kein Problem, sie konterte und setzte eigene unfaire Mittel ein, um ihr Ziel zu erreichen. Auch die weiteren Opfer nutzten das Internet, um ihre unprofessionellen Anliegen möglichst lukrativ und skrupellos umzusetzen. Alles läuft nun darauf hinaus, dass Tibor mit allen Mordfällen auf die eine oder andere Weise in Verbindung gebracht wird. Dass er nicht der Mörder ist, ahnen die Lesenden von Anfang an, denn welches Motiv hätte er haben sollen.
Spannend liest sich wie immer bei Ursula Poznanski der Plot, der natürlich genial konstruiert, eine Rachegeschichte erzählt, die sehr viel mit unserer oberflächlichen, egoistischen Welt zu tun hat.