Liane Moriarty: Eine perfekte Familie, Aus dem australischen Englisch von Carola Fischer, Diana Verlag, München 2022, 555 Seiten, €22,00, 978-3-453-29260-4


„Sie konnte ihren erwachsenen Kindern nicht die Wahrheit über ihre Ehe anvertrauen. Davon wollten sie nichts wissen, auch wenn sie selbst etwas anderes dachten.“

Keine Familie ist perfekt, und so kann man den Titel des Romans der australischen Autorin, die durch die Verfilmung der Serie „Big Little Lies“ bekannt wurde, eher ironisch lesen. Ironie und Humor gehören auf jeden Fall zum Gedankenstrom der willensstarken Joy Delaney, die in Sydney lebt. Die Mutter von vier nun erwachsenen, sportlichen, hochgewachsenen Kindern war in ihrem Berufsleben nicht nur Tennislehrerin, sondern auch die Leiterin, neben ihrem Mann Stan, einer Tennisschule. Diese wurde nun verkauft und das Rentnerpaar, sie ist neunundsechzig Jahre alt, langweilt sich gepflegt. Die Kinder Brooke, Troy, Amy und Logan leben entweder allein oder in Trennung, neigen aber nicht dazu Joy zur Großmutter zu machen, was sie nie in ihrer Gegenwart sagen würde, aber sich doch innerlich sehnlichst wünscht.
Als ein einst berühmter und sehr erfolgreicher Tennisspieler sein Comeback ankündigt, rumort es wieder in der Familie. Denn Harry Haddad war einst der Schüler von Stan und Harrys Vater oder er selbst haben Stan vor der großen Karriere in Wimbledon abserviert. Mit dem Comeback soll auch gleich ein Buch erscheinen und natürlich ist Stan neugierig auf den Inhalt.

Liane Moriarty erzählt multiperspektivisch, mal aus Joys Blickwinkel, dann wieder aus Stans oder aus dem der vier Kinder. Zeitlich wechselt sie zwischen Erinnerungen an Geschehnisse aus der Vergangenheit und der Gegenwart, in der Joy plötzlich wie vom Erdboden verschluckt, verschwunden ist.

Während die Polizei mit ihren Ermittlungen im Familienleben der Delaneys beginnt, erfährt der Lesende, dass sich in der nahen Vergangenheit eine gewisse Savannah bei der Familie einquartiert hat. Angeblich wurde sie von ihrem Freund geschlagen, ist Hals über Kopf ins nächste Taxi gesprungen und mit den 20 Dollar, die Savannah noch hatte, so weit gefahren, wie sie es bezahlen konnte. Gehalten hat das Taxi dann vor der Tür der Delaneys und diese haben dann das völlig fremde Mädchen, dünn, schmutzig und müde, bei sich aufgenommen. Ist Stan vom neuen Hausgast nicht begeistert, so genießt Joy ihre Anwesenheit und die Tatsache, dass die junge Frau ihr mit Freude die Kocharbeit abnimmt.

„Es war bemerkenswert, dass eine qualitativ so hochwertige und anspruchsvolle Mahlzeit in Joys Küche zubereitet worden war. Was musste ihr Ofen denken?“

Auch die Kinder von Joy, die sich mit ihren eigenen Problemen herumschlagen, begegnen Savannah mit Misstrauen, was sich als gerechtfertigt erweist.
Natürlich ist Savannah keine Unbekannte, natürlich verfolgt sie ein ganz bestimmtes Ziel, weshalb sie sich bei den Delaneys aufhält. Da sie offenbar eine notorische Lügnerin ist, fliegt sie auch in der sich sehr langsam entwickelnden Handlung irgendwann auf.

Beschrieben wird auch die Ehe der Delanys, denn kurzzeitig verdächtigt die Polizei Stan des Mordes. Allerdings regelt Stan seine Probleme, auch mit Joy, nicht mit Gewalt, sondern mit Schweigen und zeitweilig kurzen Fluchten aus dem Alltagstrott. Joy hat, wie so viele Ehefrauen, ihre eigene Taktik entwickelt, um mit Stan klarzukommen, allerdings gab es auch ein Jahr, in dem ihre Ehe nur noch an einem dünnen Faden hing.

„Das war das Geheimnis einer glücklichen Ehe: Geh dem Zorn aus dem Weg.“

Wie viel in Ehen oder Partnerschaften gelogen oder verschwiegen wird, mag dahingestellt sein. Dass in der Ehe der Delaneys jedoch vieles nicht funktioniert hat, wird nach und nach klar. Auch hier geht es um Lügen, Verrat und vor allem Vertrauensverlust.

Detailliert beschreibt Liane Moriarty jeden inneren Gedanken, jedes Kleidungsstück, jede Erinnerung und die genauen Beziehungskonstellationen der einzelnen Personen zueinander. Seitenweise direkte Rede offenbart die Konflikte in der Familie, auch wenn nicht alles unbedingt ausgesprochen wird. Als würde die Autorin für eine mehrteilige Serie bereits ein Konzept vorlegen.

Eine wichtige Rolle als roter Faden spielt das Tennisspiel. Jeder in der Familie will unbedingt gewinnen und die Erwartungen an die Kinder waren einst unausgesprochen riesig. Erfüllt haben sich die Hoffnungen der Eltern nie und die Kinder bedauern es kaum. Und so hieß es immer bei ihnen: Neuer Tag, neues Spiel, neue Chance!