Elizabeth Strout: Oh, William!, Aus dem Amerikanischen von Sabine Roth, Luchterhand Literaturverlag, München 2021, 224 Seiten, €20,00, 978-3-630-87530-9
„Die Menschen sind einsam, darum geht es mir. Viele Leute können denen, die ihnen am nächsten stehen, nicht das sagen, was ihnen wirklich auf der Seele liegt.“
Wer die Romane von Elizabeth Strout kennt, ist auch bereits der Schriftstellerin Lucy Barton begegnet. Lucy ist nun die Erzählerin. Ihr erster Mann war William Gerhardt, dessen Vater Deutscher war, und der nach der Kriegsgefangenschaft in Maine in die USA zurückkehrt ist.
Catherine, Williams Mutter, hatte zu ihrem Sohn eine ungewöhnlich enge Bindung und sie war eine hilfsbereite Schwiegermutter und doch auch eine sehr widersprüchliche Person.
Gut zwanzig Jahre hat die Ehe von William und Lucy gehalten. Sie haben zwei Töchter. Nachdem beide aufs College gingen, hat Lucy ihren Mann verlassen. Er hatte sie jahrelang mit einer ihrer besten Freundinnen betrogen. Sie wurde dann für sieben Jahre auch Williams zweite Frau. William ist von Beruf Parasitologe, ein notorischer Fremdgänger, gut aussehend, groß, schlank, sehr ruhig.
Nun steht sein siebzigster Geburtstag an. Ihn wird er mit seiner dritten, sehr jungen Frau und seiner zehn Jahre alten Tochter feiern. Aber auch die dritte Frau wird gehen. Immer wenn es William oder Lucy schlecht geht, dann rufen sie einander an.
In Erinnerungsschüben schaut Lucy in ihre eigene ärmliche wie lieblose Kindheit zurück, aber auch in Williams Leben als Einzelkind. William hat Lucy aus ihren Ängsten befreit, hat ihr in der Ehe eine Art Geborgenheitsgefühl gegeben. Doch hinter seiner immer freundlichen, glatten Fassade gibt es auch einen maulenden, sich zurückziehenden, undurchsichtigen William.
Lucy hat vor kurzem ihren zweiten Mann, David, verloren und trauert.
Als William erfährt, dass seine Mutter Catherine noch ein Kind hatte, das zwei Jahre älter als er sein müsste, ruft er wieder Lucy an. Lucy zweifelt nicht an dieser Tatsache, denn sie hat Catherine in ihrer äußerlich freundlichen und aufmerksamen Art auch immer ganz anders wahrgenommen. Catherine konnte übergriffig sein, die junge, unerfahrene Schwiegertochter vereinnahmen und beeinflussen und sich in das Leben von William und Lucy hineindrängen, was so weit ging, dass die Familie immer nur Urlaub mit Catherine machen musste. Aus welchen Verhältnissen die Mutter von William eigentlich stammte, davon werden William und Lucy erst erfahren, wenn sie die Halbschwester von William in Maine finden.
Unsicherheit, Einsamkeit, Schweigen, Angst, Trauer, mit all diesen Gefühlen auf sehr unterschiedliche Weise kämpft William in seinen Träumen und Lucy immer noch im realen Leben. Sie hofft völlig irrational auf die Liebe ihrer Eltern, und glaubt phasenweise unsichtbar zu sein, er muss mit den falschen Bildern klarkommen, die er von den Menschen hat, die er liebte.
Immer wieder gibt es diese Stoßseufzer, die sich aber nicht nur auf William, sondern auch auf Lucy und sogar Catherine beziehen.
Elizabeth Strout vermag es, in diesem Roman in einem leichten, ja fast plaudernden Ton über einen langen Zeitabschnitt zu erzählen, den ihre Protagonistin geprägt hat.