Sven Stricker: Sörensen am Ende der Welt, Rowohlt Taschenbuch Verlag, Hamburg 2021, 492 Seiten, €11,00, 978-3-499-00121-5
„Es war eigentlich viel zu viel auf einmal, dachte er, sein Vater kam, sein Vater und seine Tochter, bald war Ostern, und dann war noch Sieke Pfeiffer, das war die neue Praktikantin, und die war nicht gestorben, sondern der Lehrer, dessen Frau so aussah wie Nele, nur in zarter und verwundbarer, und die eigentlich ziemlich interessant wäre, wenn sie nur nicht so verwirrende Dinge von sich geben würde, und verschwunden war die auch nicht, sondern Ole Kellinghusen, ausgerechnet, der erste Katenbüller, den Sörensen getroffen hatte und außerordentlich mochte, und er, also Ole, hatte eventuell die Tankstelle verlassen, um einen Menschen umzubringen, und war dann abgehauen, und dabei wurde er doch Vater, und zwar ausgerechnet mit der Tochter seiner Kollegin Jennifer, und der Tote, der hieß Hinnerk Hansen, und der hatte einen Bruder bei der Landschaftspflege namens Enno, der vielleicht noch gar nichts von seinem und des Bruders Unglück wusste.“
In diesen auch lähmenden Endlosschleifen denkt nicht nur Kriminalhauptkommissar Sörensen, dessen Vorname ein Geheimnis bleibt. Auch alle Dialoge finden in dieser abstrusen, unglaublich umständlichen, zum Teil in ganz andere Themen ausufernden Art und Weise statt. Das muss man mögen, ansonsten nervt diese Erzählweise ganz schnell. Sörensens eigenwilliger, trockener Humor kann sich allerdings nicht so richtig entfalten, denn er ist viel zu sehr mit seinen eigenen Angststörungen beschäftigt. Dann will auch noch zu Ostern sein Vater in Katenbüll anreisen, mit dem er irgendwie auf Kriegsfuß lebt und seine Ex-Frau Nele, die ihm nichts zutraut, will Sörensen seine sechsjährige Tochter Lotta ( Warum benennen eigentlich die Leute immer ihre Kinder nach Astrid Lindgren Figuren? ) nicht mal für ein Wochenende anvertrauen. Und zu allem Drama schaut der Journalist Nils Kolping, der allerdings zur Abwechslung mal seriös seiner Arbeit nachgeht, dem KHK über die Schultern, denn wiedermal ist ein Mord geschehen. Seit Sörensen den stillen Ort Katenbüll betreten hat, häufen sich die Kriminalfälle. Der Mathelehrer Hinnerk Hansen wurde mit einem Schraubenzieher erstochen und in den Kroog, den Dorfteich, geworfen.
Dieser Mordgeschichte geht eine seltsame, nächtliche Begegnung in der einzigen Tankstelle in Katenbüll voran. Hier arbeitet der einundzwanzigjährige Ole Kellinghusen, der bald Vater wird. Seine Freundin ist auch noch die Tochter von Jennifer Holstenbeck, die engste Mitarbeiterin von Sörensen. Ole, der ein eigentlich-Mensch und Musiker ist, hadert nun mit seinem frühen Vaterglück, außerdem gibt es da noch eine Freundin und eigentlich wollte er nicht unbedingt in Nordfriesland Wurzeln schlagen. Sörensen hat sich endgültig für einen Umzug von Hamburg nach Katenbüll entschieden. Auch er hadert mit dieser Entscheidung, kommt aber kaum zum Nachdenken, denn jetzt ist Polizeiarbeit angesagt. Leute befragen und erkunden, wo Ole abgeblieben ist und wer der Mörder ist.
Die Katenbüller sind nicht anders als all die anderen Leute in der Republik. Da gibt es Leute, die ihren Job nicht mögen und andere, die alles dafür tun. Dann ist da die Praktikantin, die allen auf den Geist geht und zu viel redet und dann ist da der Tote, dem Eltern ihre Kinder anvertraut haben und der ganz offen verkündet, dass die Welt bald untergeht und vor allem von Ausländern, speziell Muslimen und anderen Kräften beherrscht sein wird.
Sven Stricker, bekannt auch als feinsinniger Regisseur, schafft es in seinen Krimis durchaus den Fall in die Mitte der Geschichte zu rücken, missachtet aber kaum die aktuellen identitätspolitschen Debatten, die durchaus auch am Ende der Welt eine Rolle spielen.
Sörensen hat am Ende der Welt viel zu tun, denn noch dreht sie sich und wird auch hoffentlich nicht im Zuge des Klimawandels in Wasserfluten untergehen.
Sehr hörenswert, das gleichnamige Hörspiel natürlich mit Barne Mädel in der ARD – AUDIOTHEK!