Björn Kern: Solikante Solo, TB S. Fischer Verlag, Frankfurt a.M. 2021, 313 Seiten, €16,00, 978-3-596-70089-9
„Sie betrachteten Solikante als ein etwas aufwendiges Therapieangebot. Und während Jann vom Schloss therapiert wurde, übernahm sie selbst die Supervision. Sie klopfte das Schloss auf Tauglichkeit ab. Nicht im Wortsinn natürlich, sonst wäre es eingestürzt.“
Der Umzug vom coolen Berlin aufs flache Land scheint als Romanthema angesagt zu sein.
Mögen Jann, der sich in den Untergang der Menschheit gedanklich hineinsteigert, und Ruth, die Farbigkeit und Vielfalt um jeden Preis um sich haben will, ein ungleiches Paar sein, so hält ihre nicht auf dem Papier beglaubigte Ehe doch schon zehn Jahre. Doch nun haben sie sich, beide sind um die vierzig, getrennt. Der Zankapfel wie immer – das fünfjährige Kind Sisal.
Zeitversetzt verfolgen die Leser und Leserinnen den Trennungsverlauf des Paares. Jann stammt aus dem Schwarzwald, Ruth ebenfalls aus Westdeutschland. Jann hatte als Jungbrauer einen kometenhaften Aufstieg und einen ebensolchen Absturz erlebt. Als er Ruth kennenlernt, ist er bereits am Ende der guten finanziellen Zeiten. Ruth arbeitet frei als Psychologin, hofft aber immer auch auf eine Festanstellung bei ihrem einstigen Kommilitonen in der Praxis. Doch als Sisal sich ankündigt, ist auch dieser Traum ausgeträumt.
Die beiden wohnen zusammen in der Potsdamer Straße und setzten sich mal mehr mal weniger aggressiv mit den Prostituierten vor der Haustür und den Dealern im nahegelegenen Park auseinander. Janns Hysterie, was den Feinstaub in der Stadt betrifft, wächst sich zu einer wahren Psychose aus. Ein Schreiben vom Hausvermieter verdirbt ihnen dann wirklich den Tag. Erstens sollen sie die Wohnung verlassen oder kaufen und zweitens baut der Senat das Obergeschoss des Hauses aus.
Jann möchte gern aufs Land ziehen. Aber die Landflucht spaltet das Paar, denn Ruth ist nicht bereit dazu, in einem Dorf zu wohnen und schon gar nicht dort zu arbeiten. Die Suche nach einem bezahlbaren Objekt führt Jann immer mehr Richtung Oder und polnische Grenze. Dann endlich entdeckt er sein Traumhaus – ein zerfallenes Schloss in Solikante ( Der Ort existiert wirklich !).
Mit seinem Rücklagen kauft Jann das weitläufige Objekt ohne einen wirklichen Plan. Ohne Kapital, Jann ist nicht der geborene Handwerker, ist eine Renovierung und kommerzielle Nutzung des Schlosses kaum möglich. Jann will nicht verstehen, dass auch in der Umgebung der riesigen Flächen sich ebenfalls Feinstaub von einem nahe gelegenen Industriegebiet bildet und eine Schweinemastanlage wird demnächst die Luft verpesten. Außerdem wohnen eigenartige Esoteriker und Schamanen in der Nähe, die natürlich mit der Dorfbevölkerung nichts zu haben wollen. Jann versenkt alle seine Träume im Bierkonsum und in der Kneipe der patenten alten Frau namens Frieda und seltsamen Tagträumen. Ruth wird nie richtig warm mit dem Schlossprojekt und streicht die Segel.
Es erstaunt, wie radikal Björn Kern seine Figuren als absolute Loser, die sich dem System verweigern, vorführt. Ruth könnte heulen, wenn sie nur daran denkt, wie viele Stunden sie unbezahlt bisher arbeiten musste. Jann hat einfach keine Idee von der Zukunft.
Mit Ironie und pointierten Dialogen treibt der Autor, der ebenfalls in Berlin und Brandenburg lebt,
seine Handlung voran. Richtig sympathisch kann man niemanden finden, weder die Nebenfiguren in Berlin, noch die Dorfbevölkerung mit ihrem typischen brandenburgischen Berlinern.