Barbara Pym: In feiner Gesellschaft, Aus dem Englischen von Sabine Roth, DuMont Buchverlag, Köln 2020, 350 Seiten, €20,00, 978-3-8321-8131-4

„Dulcie bekam ein Gefühl der Unwirklichkeit, wie das bei Unterhaltungen mit ihren Nachbarn häufig der Fall war. Das war das Charmante an ihnen – dass sie so wenig in der heutigen Welt zu Hause schienen, sondern stattdessen im England der Zwanziger – oder im São Paulo der Neunzigerjahre.“

Die Handlung des Romans „In feiner Gesellschaft“ führt den Leser wieder in die Zeiten zurück, wo man beim öffentlichen Vortrag noch rauchen durfte oder eine Adresse wie Telefonnummer im Telefonbuch einer Londoner Telefonzelle nachschlug. Man besuchte noch Bibliotheken, um zu recherchieren und eine Tasse Tee, aber das ist ja zeitlos, half in jeder noch so unmöglichen Situation. Die Rede ist von den guten 1950er Jahren, in denen Frauen wie Dulcie Mainwaring und Viola Stinz nicht im Hafen der Ehe gelandet sind, sondern als Assistentinnen für Autoren oder Verlage die Stichwortregister zusammenstellten oder als Korrektorinnen arbeiteten. Beide Frauen lernen sich auf einer Tagung kennen und könnten doch nicht unterschiedlicher sein. Dulcie wirkt etwas schüchtern, scheint wenig aus ihrem Äußeren zu machen und ist der „Gutmensch“, der nie Nein sagen kann. Viola ist im Gegensatz dazu eher chaotisch, extrem unordentlich und vor allem schert sie sich wenig um ihre Umwelt.

„Viola hatte ihren Lippenstift gezückt und trug ihn mit Verve auf, offenbar wild entschlossen, so wenig wie eine Dienstleisterin an den staubigeren Rändern der akademischen Welt auszusehen wie nur irgend möglich.“

Auf der besagten Tagung hat auch der attraktive Aylwin Forbes, Schriftsteller und Herausgeber einer literarischen Zeitschrift, seinen Auftritt. Viola hatte für ihn gearbeitet und offenbar kam es zu einer gewissen Annäherung, der sie allerdings mehr Bedeutung beimisst als er. Viola weiß, dass Forbes Frau ihn verlassen hat. Da Dulcies Freund Maurice die Verlobung aufgelöst hatte, wagt Dulcie äußerst vorsichtig einen Blick auf Forbes zu werfen. Sie erkundet, eine ihrer wirklichen Stärken, sein familiäres Umfeld und sie entdeckt, dass er gar nicht weit entfernt von ihrem Haus im besseren Teil von Kensington wohnt. Und Dulcie spioniert Forbes Frau hinterher und erkundet sogar, wo sein Bruder arbeitet und seine Mutter wohnt.
Als Viola Ärger mit ihrer Vermieterin bekommt, bittet sie Dulcie um eine kurzzeitige Unterkunft. Bei Dulcie wohnt allerdings schon ihre achtzehnjährige Nichte Laurel. Dulcie hat Platz und ein großes Herz. Laurel missachtet, mag man es ihrem jungen Alter zuschreiben, den langweiligen Wohnort bei ihrer jüngferlichen Tante. Auch Viola betrachtet Dulcie nicht gerade mit Hochachtung.

„In manchen Situationen tut es nur Whiskey pur, dachte Viola ….“

In diese Konstellation hinein platzen dann durch diverse Zufälle Aylwin Forbes und sogar Dulcies Ex-Verlobter. Aylwin Forbes, eitel und nicht gerade der jüngste mehr, aber von sich und seiner Ausstrahlung überzeugt, wirft eher ein Auge auf die junge Laurel als auf Viola oder Dulcie. Maurice nutzt wie viele Leute scheinheilig Dulcies Gutmütigkeit aus, aber das braucht die Anfang Dreißigjährige ja, Menschen, denen sie Gutes tun kann.
Der Roman, veröffentlicht 1961 von der vor vierzig Jahren verstorbenen und unterschätzten Autorin, unterhält nicht durch seine tiefgründige, spannende Handlung, sondern durch den leicht ironischen Erzählton, den feinen englischen Humor in den Dialogen oder inneren Monologen und seinen besonderen Blick auf die Protagonisten. Auch wenn sich die Zeiten verändert haben, eine Dulcie, eine Viola oder einen Aylwin könnte man auch heute in jeder Gesellschaft antreffen.