Nele Pollatschek: Dear Oxbridge, Liebesbrief an England, Galiani Berlin Verlag, Berlin 2020, 240 Seiten, €16,00, 978-3-86971-203-1
„Das Ideal des Oxbridge – Studiums, speziell des geisteswissenschaftlichen, ist dann auch nicht korrektes wissenschaftliches Arbeiten und nicht mal Kenntnis des eigenen Faches, sondern die Fähigkeit, über fast jedes Thema gewinnbringend reden zu können. Das macht die Oxbridge – Absolventen fast fachunabhängig so erfolgreich. Wer in Oxbridge studiert, der lernt nicht primär die Methoden des Faches, sondern wie man in kürzester Zeit große Mengen an Daten so bearbeitet, dass man sich eloquent und innovativ über sie äußern kann.“
Offen stehen für die Absolventen dann Berufe, wie Journalisten, Politiker oder Führungspositionen, in denen man schnell Entscheidungen treffen muss. Allerdings heißt das, wie die Autorin ausführt, dass man durchaus auch viel Wissen mitbringen muss. Wenn sie ihre Studientage in Cambridge und Oxford beschreibt, dann schüttelt wahrscheinlich jeder deutsche Student im ersten Semester den Kopf oder bekommt innerlich Panik, da er einfach viel zu wenig liest und schreibt.
Als am Morgen des 23. Juni 2016 das Brexit-Votum der britischen Wähler bekannt gegeben wurde, war für Nele Pollatschek die Erleichterung groß. Das Pfund rutschte in ein Tief, und die Doktorandin konnte in einem Rutsch ihre durch mehrere Jahre Studium angehäuften Schulden begleichen. Mit dieser tragikomischen Pointe beginnt das neue Buch der Anglistin Nele Pollatschek.
Im lockeren Ton beschreibt Nele Pollatschek, die jetzt im Hessischen Rundfunk ihre eigene Hörstrecke mit „Pollatscheks Kanon“ hat, von ihrer Sehnsucht bereits als Teenager nach englischen Eliteuniversitäten und dem Wunsch, Schriftstellerin zu werden. Alle ihre literarischen Idole haben mit den berühmten Universitäten zu tun und somit drängt es auch die Autorin an diese Orte. Dass dieser Weg ein nicht gerade leichter ist, beschreibt sie ausführlich. Aber Beharrlichkeit, großer Ehrgeiz und vor allem Leistungsfähigkeit bringen sie ans Ziel. Amüsant berichtet sie dann von ihren ersten Erfahrungen mit dem Campusleben und den zugigen Fenstern in allen so romantisch anmutenden englischen Häusern.
Wie elitär dann jedoch die Studenten aus sogenanntem guten Hause, die zukünftig die Politikerstellen einnehmen werden, sind, überrascht kaum. Dass bei der Wahl gegen David Cameron und für den Brexit gerade die Eliten getroffen werden sollten, ist auch nichts Neues. Genüsslich beschreibt die Autorin, wie ihre Mitstudenten, einmal privilegiert, immer privilegiert, sich zu den Konservativen zuzählen und ihre Gesellschaftsklasse als die bessere ansehen. Arme Menschen haben, ihrer Meinung nach, keine Unterstützung verdient, da sie sich nicht genug Mühe gegeben haben. Selber schuld, wenn sie ihre Kinder nicht an Eliteunis schicken. Dann müssen sie halt mehr arbeiten. Wie aus einer anderen Welt lesen sich diese Beschreibungen und erklären doch Boris Johnsons, ebenfalls Absolvent von Oxbridge, politische Vorstellungen.
„Der Politikertyp, der aus Oxbridge kommt, der vorher natürlich schon in Eton war, also Menschen wie David Cameron und Boris Johnson, das ist jemand, der immer schon alle Privilegien hatte, der immer schon etwas Besseres war, und der gleichzeitig gar nicht weiß, dass er sich das nicht erarbeitet hat, sondern dass das einfach ein Privileg ist, dass das einfach von Geburt an da ist. Und weil die vermehrt denken: Boah, das habe ich mir alles erarbeitet, das verdiene ich, kommt daraus eine Gnadenlosigkeit, also der Gedanke, dass diejenigen, die das nicht haben, was man selber hat, es auch nicht verdienen.“
In einer Mischung aus eigenen, auch sehr sympathischen wie wohltuenden Erfahrungen an den Unis, die Autorin mag die Briten, und allgemeinen Äußerungen zum Leben im britischen Königreich lesen sich die „Liebesbriefe an England“ flüssig und für angehende Studenten äußerst lehrreich. Natürlich kann jeder profitieren, der vielleicht auch seine Fühler in Richtung Oxbridge ausstrecken will.