Elizabeth Kay: Sieben Lügen, Aus dem Englischen von Rainer Schumacher, Verlag Bastei Lübbe, Köln 2020, 383 Seiten, €15,00, 978-3-7857-2669-3

„All diese Dinge teilte sie nun mit ihm: Bett, Koffer, Geheimnisse. Ich dachte viel an sie in diesen vierzehn Tagen, und jedes Mal zog sich mir die Brust zusammen. Ich hatte das Gefühl, unsere Wurzeln lösten sich auf, und das war schockierend für mich, denn ich hatte es nie für möglich gehalten.“

Sie kennen sich beide seit gut achtzehn Jahren, seit ihrer Schulzeit. Die Ich-Erzählerin Jane fühlt sich nur mit der rothaarigen und attraktiven Lichtgestalt Marnie vollkommen. Sie haben sich nach der Schule kurzzeitig für drei Jahre getrennt, um an unterschiedlichen Universitäten zu studieren. Doch kein Tag verging, an dem sie sich nicht Nachrichten geschickt haben. Dann wieder nach London zurückgekehrt, sind sie zusammengezogen.

Jane erzählt einer imaginären Person von ihren sieben Lügen. Wer das ist, wird sich zum Ende hin herausstellen. Für Jane, die sich selbst immer in den Schatten stellt, sich ungeliebt fühlt und nicht selbstbewusst ist, lief eigentlich alles bestens, denn sie lernte die Liebe ihres Lebens kennen, den Kameramann Jonathan. Auch wenn Janes Mutter von der frühen Hochzeit abgeraten hatte, heirateten die beiden. Janes Bindung an die Mutter war nie sonderlich eng, denn eigentlich liebte die Mutter die jüngste Tochter Emma, die als Frühchen auf die Welt kam, viel mehr. Jetzt besucht Jane die an Demenz erkrankte Mutter als einzige im Altersheim.
Doch die Ehe mit Jonathan dauert nur kurz und endet tragisch. Ein betrunkener Autofahrer überfährt den jungen Mann.
Marnie ist für Jane da, aber in Gedanken ist sie eher bei ihrer neuen Liebe Charles. Mit ihm will sie unbedingt zusammenziehen.
Jane hasst Charles vom ersten Moment an. Sie hält ihn für einen überlebensgroß aufgeblähten Angeber, einen schlechten Menschen, der ihrem Jonathan nie hätte das Wasser reichen können. Für Jane ist Charles nicht gut genug für Marnie.
Beim Lesen erfährt man nur die Ansichten von Jane, man fragt sich als Leser, ob man ihrer Geschichte, ihrer Wahrheit, trauen kann?

„Immerhin ist das hier meine Wahrheit, und das ist nicht dasselbe wie die Wahrheit.“

Wie eng sind Frauenfreundschaften, wenn Schule, Studium und erste Berufserfahrungen vorbei sind? Warum hebt Jane Marnie immer auf ein Podest? Warum grenzt sich Marnie eindeutig klar von Janes unendlicher Zuneigung ab?
Beide sozusagen elternlos, weder Janes Mutter kümmert sich um die Tochter, noch Marnies Eltern zeigen Interesse, spüren den engen Zusammenhalt, der allerdings auch Risse bekommen kann.
Sagt man wirklich einer Freundin direkt, was man denkt, gerade wenn es um einen potenziellen Partner geht?
Als Marnie benebelt von ihren Glücksgefühlen Jane nach ihrer Meinung über Charles fragt, entschlüpft ihr die erste Lüge. Bei der großartigen Hochzeit von Marnie und Charles geschieht in einem unbeobachteten Moment etwas Ungewöhnliches. Charles berührt Jane auf unsittliche Weise.
Ist das wirklich geschehen, hat sie sich das unter Alkoholeinfluss eingebildet? Traut sie ihm sowieso nur alles Schlechte zu? Glaubt sie wirklich, dass sich Marnie nach ihrer Offenbarung an ihre Seite stellen wird?
Die Vorstellung, dass Marnie und Jane ein unzertrennliches Team sind, brennt sich in Janes Gedanken ein. Die Erfahrung, dass die Symbiose sich auflösen könnte, löst in ihr ungeheure Aggressionen aus. Als Jane nach einer Auseinandersetzung mit Marnie in ihre Wohnung geht, sie hat einen Schlüssel, liegt Charles verletzt auf dem Boden. Jane könnte nun die Polizei rufen. Aber die Sehnsucht nach der alten Vertrautheit mit ihrer Freundin Marnie verleitet sie zu einer Tat, die mehr als grausam ist. Und sie wird vor weiteren Lügen nicht zurückschrecken. Nicht die Polizei wird sich auf Janes Fährte machen, sondern eine unsympathische Bloggerin, die mit ihren Lügen wiederum an die Öffentlichkeit geht und sensationslüstern Leben zertrümmert.

Elizabeth Kay hat mit ihrem Debüt einen Pageturner vorgelegt, der bis zur letzten Seite auch ohne raffiniertes Versteckspiel den Leser in Atem hält. Eifersucht kollidiert mit Lügen, Schuld mit Unschuld und Alleinsein mit Zweisamkeit.