Bov Bjerg: Serpentinen, Claassen Verlag, Berlin 2020, 267 Seiten, €22,00, 978-3-546-10003-8
„Ich fragte mich, ob es richtig gewesen war, mit dem Jungen hierherzukommen. Ihm zu zeigen, was von mir und meiner Kindheit noch übrig war. Dadurch mache ich alles unnötig schwer. (…) Ich konnte doch nur drum herumreden. Ich musste den Schwarzen Gott von ihm fernhalten, und ich wusste nicht wie.“
Mit einem Mietwagen reisen der Vater, der Ich – Erzähler und der siebenjährige Sohn, der namenlose Junge, durch die Schwäbische Alb. Ziemlich altklug fragt das Kind immer wieder: Um was geht es? Ja, um was eigentlich? Um Vergangenheitsbewältigung? Um Erinnerungen? Um die Selbsttötung und Ermordung des Jungen? Um Depressionen? Um einen Fluch?
In markanten Kurzsätzen, die mal nur die Szenerie klären und dann wieder ausführlich Ereignisse spiegeln, umkreist Bov Bjerg mal temporeich, mal verhalten eine Vater-Sohn Geschichte. Allerdings muss der Erzähler mit einer harten Bürde leben, denn sein Urgroßvater, sein Großvater und sein Vater haben Suizid begangen. Als der Vater des Erzählers, ein waschechter Nazi, Schläger und Alkoholiker, sich den Strick um den Hals legte, war er vierundvierzig Jahre alt. Der Sohn damals sieben Jahre. Der Erzähler ist bereits ein Jahr älter und fragt sich, ob er den Tod somit besiegt hat.
Zweifel bleiben. Muster wiederholen sich, so kann der Erzähler Konflikte mit seinem Sohn nur austragen, indem er seine Wutanfälle nicht in den Griff bekommt und dann stundenlang schweigt. Ein Martyrium für ein Kind.
„Die Kinder mussten für die Kindheit ihrer Väter büßen. Ich war auch nur ein Scheißvater.“
Es fällt dem erfolgreichen Soziologieprofessor, der mit Preisen bedacht wurde und sich auf Handfestes wie Statistiken spezialisiert hatte, extrem schwer, sich aus seiner einfachen Herkunft zu lösen. Die Mutter, geflohen aus dem sogenannten Sudetenland, hatte kaum die Schule besucht, der Vater, ein Stuckateur, achtet nur körperliche Arbeit. Seltsam fremd fühlt sich der Intellektuelle, der mal Dialekt, mal Hochdeutsch spricht, in der Heimat, der es doch geschafft hat, aus seinem kleinbürgerlichen Milieu zu entkommen. Verheiratet mit einer Juristin, Vater eines Sohnes überkommen ihn immer wieder Depressionen. Die Ehefrau, M. genannt, bittet ihn, sich Hilfe zu holen. Sie ist verärgert über die Reaktionen ihres Mannes, der in allen nur die Nazis sieht. Bov Bjerg lässt seinen Erzähler sehr deutlich werden, erwähnt sogar die 381.569 Stimmen für die NPD in der baden-württembergischen Landtagswahl im Jahre 1968. Das waren knapp 10 Prozent.
Je länger der Erzähler in seinen düsteren Familiengeschichten, dem „Familienbla“, verweilt, um so klarer wird, was er sucht. Schuldig am Tod des Vaters hat sich der Erzähler immer gefühlt. Aber warum?
„Ich war für den Vater: NICHTS. Der Junge war für mich: ALLES.“
Hat diese Reise für eine innere Läuterung gesorgt? Klarheit geschaffen?
Wie löst man sich aus seiner Vergangenheit, legt die Unsicherheiten ab und schaut in die Zukunft?
Wie aktuell ist das nationalistische Gedankengut in den Köpfen vieler junger Leute in diesem Land und warum?
Bov Bjerk hat einen poetisch eindrucksvollen Text geschrieben, der so schmerzhaft aktuell ist. In einem Interview sagte der Berliner Autor, dass er froh ist, diesen Roman geschrieben zu haben, aber auch, dass es ihm nicht leicht gefallen ist.