Norbert Scheuer: Winterbienen, C.H.Beck Verlag, München 2019, 319 Seiten , €22,00, 978-3-406-73963-7
„Das, was ich notiere, ist nur eine Projektion meines Lebens, es ist weniger und doch gleichzeitig mehr, als ich selbst bin, wie auch die gesprochene Sprache immer ist als ihre schriftliche Wiedergabe, die aber auf der anderen Seite doch vielleicht ein tiefere Wirklichkeit aufzeigt, ebenso wie eine Landkarte niemals eine tatsächliche Landschaft selbst darzustellen vermag.“
Wenn es um Bienen geht, kann sich neuerdings niemand mehr der Lektüre verschließen. Aber der 67–jährige Norbert Scheuer findet seine Leser auch ohne Modethema. Er spielt eher mit dem Gegensatz von brummenden Bienen und ihrem solidarischen Verhalten und den zerstörenden Bombern, die nach und nach über die Eifel, dem Urftland fliegen. Der einstige Gymnasiallehrer Egidius Arimond führt Tagebuch in den Jahren 1944 und 45 und übersetzt als Pensionär die Aufzeichnungen eines Benediktinermönches aus dem Jahr 1489, der mit seiner Familie verwandt ist, Ambrosius Arimond. Er hat die Bienen einst angesiedelt und beide Männer verbindet die Liebe zur Natur und zu den Frauen. Zu gern möchte Egidius ein Buch über seinen Vorfahren schreiben. Als Außenseiter und Epileptiker hat Egidius keinen guten Stand im Ort. Misstrauisch betrachten ihn die Alten, mit interessiertem Auge, die Frauen, die auf ihre Männer eigentlich warten sollten. Geschützt durch die Heldentaten des Bruders, der Bomber fliegt, und somit vor einer Anstalt benötigt Egidius allerdings teure Medikamente, die der Bruder nicht mehr schicken kann. Und so hat sich der Lehrer über ein ausgeklügeltes System mit einer Organisation eingelassen, die ihm Nachrichten in der Bibliothek hinterlässt, wenn er einen Juden über die belgische Grenze schleusen kann. Dieser zahlt 200 Reichsmark. In extra konstruierten Bienenkästen transportiert Egidius dann die Verfolgten. Er befestigt an ihrer Kleidung Lockenwickler, in denen eine Königin sitzt. Die Bienen wollen diese unbedingt schützen und bilden somit einen natürlichen Schutzmantel um die Person im Bienenkasten. Die Grenzer haben wenig Lust, nah an die Kästen zu gehen. Egidius hat einen Passierschein und sorgt mit seinen Bienen für die Versorgung der Bevölkerung.
Da Egidius kaum etwas über Mittelsmänner weiß, könnte er bei Festnahmen und unter Folter nichts erzählen.
Die Aufzeichnungen setzen ein als eine amerikanische Mitchell B-25 im Eifelgebiet abstürzt. Gefunden wird ein toter Pilot, aber ein Soldat scheint per Fallschirm den Unfall überlebt zu haben. Die Feldjäger begeben sich vergeblich auf die Suche. Egidius denkt über den Flüchtenden nach und
im nächsten Moment trifft er sich mit Maria, einer Frau, die ihn einfach nur ablenkt. Allerdings verliebt er sich auch noch in eine andere Frau, die mit einem hohen NS-Schergen verheiratet ist.
Unaufdringlich, aber in einer wunderbaren leichten Sprache erzählt Norbert Scheuer vom Sprachballett der Bienen, ihrem Verhalten im klar organisierten Stock innerhalb eines Jahres und dem Jahr des Nationalsozialismus in Kall.
Der Roman fußt angeblich auf existenten Aufzeichnungen, aber auch auf die wahren Fluchtmöglichkeiten von Juden über die belgische Grenze gegen Bezahlung.