Judith W. Taschler: Das Geburtstagsfest, Droemer Verlag, München 2019, 350 Seiten, €22,00, 978-3-426-28188-8
„Als er die Entenfarm verließ, hatte er sich geschworen, niemals von seinen Erlebnissen zu erzählen. Schon damals hatte er begriffen, dass er seine Kindheit völlig abstreifen musste, um ein neues Leben beginnen zu können.“
Die absolute Verdrängung wurde zum Lebensprinzip von Kim Mey, der nun als angesehener Architekt mit eigener Firma und glücklicher Familie mit drei Kindern auf dem österreichischen Land lebt. Sein fünfzigster Geburtstag steht vor der Tür und Sohn Jonas hat hinter seinem Rücken als Überraschung die einstige Freundin der Familie, Tevi Gardiner, eingeladen. Warum diese Frau im Leben Kims eine Rolle spielte, erzählt zeitversetzt und in Rückblenden Judith W. Taschler.
Die Handlung beginnt mit der Tötung einer Ente, das Töten, und das weiß Kims Familie nicht, gehörte zu Kims Kindheit, denn er wurde als Sohn eines Fischers von den Roten Khmer als Kindersoldat angeheuert. Ausführlich und zum Teil unerträglich lesen sich die Abschnitte über die gesellschaftlichen Umwälzungen in den 1970er Jahren in Kambodscha. Als Flüchtling gelangte Kim nach dem Eingreifen der Vietnamesen nach Thailand, an seiner Seite, Tevi. Er hatte sie halbtot gerettet und auf seinem Rücken aus dem Land des Terrors hinausgetragen.
Wenn Kims Kinder nach der Kindheit des Vaters in Kambodscha fragen, bekommen sie keine Antworten oder nur die schmallippige Antwort, dass er angeblich auf einer Entenfarm gearbeitet habe. Aber in Wirklichkeit war alles anders. Gleich zu Beginn wird klar, dass Kim nicht vor Mord zurückschreckt, ob nun befohlen oder in Thailand an einem Soldaten der Roten Khmer, Son, der für seine perfiden Axtmorde bekannt war und dem Kim nun eigenhändig die Kehle durchschneidet.
Durch einen Asylantrag landen Kim und Tevi nicht in Australien, sondern in Austria. Da ist Kim vierzehn Jahre alt. Die alleinstehende Monika, die auf einem Hof mit ihrer Mutter lebt, nimmt die beiden Kinder aus Kambodscha auf und die einsame Ines, deren Tochter, hat nun einen gleichaltrige Freundin. Steil und schnell ist der Aufstieg Kims, der durch seinen Ehrgeiz und Lernwillen auffällt. Als die Familie Urlaub in Frankreich macht, entdeckt sie durch Zufall, dass Tevis Tante väterlicherseits in Rouen lebt. Da Tevi aus einer wohlbetuchten Familie stammte, hatten die Roten Khmer bei ihrem Umsiedlungsprogramm kein Mitleid. Alle Familienmitglieder wurden getötet.
Ausführlich erzählt Judith W. Taschler die Lebensgeschichten von allen Personen, von Kim, Tevi, Ines, aber auch ihrer Tochter Lea und natürlich erspart sie dem Leser nicht die Geschichte des Pol Pot – Regimes und deren blutige Taten.
Als Monika die Pflegschaft für die Kinder übernimmt, sind beide sehr schüchtern und unsicher. Doch das ändert sich schnell. Mit dem Umzug von Tevi nach Frankreich zerbricht auch die Freundschaft zu Ines. Tevi entwickelt sich zu einer äußerst egoistischen und arroganten Person, die nach außen hin lebt und mit einem Fotografen nach Kambodscha reisen wird, um sich als Model zu präsentieren. Sie erzählt immer wieder von den Greultaten der Roten Khmer und dem Schicksal ihrer Familie. Auch den Kindern von Kim berichtet der „Überraschungsgast“ vom Leben in Kambodscha. Kim ist nicht begeistert und gerät mit Tevi in Streit. In seiner Studentenzeit hatte er ein Verhältnis mit Tevi und sie war schwanger. Eines Tages ist sie einfach so verschwunden.
Nach und nach brechen Konflikte auf, die Kim völlig aus der Bahn werfen, sein Prinzip des Schweigens wird ihm nun zum Verhängnis, denn nichts stimmt mehr in seinem Leben.
Die österreichische Autorin erzählt spannend und berührend von einem ungewöhnlichen Lebensweg von Asien nach Europa und der Innenwelt eines Migranten, der angekommen zu sein scheint und es doch nicht ist. Als Kind missbraucht, als Erwachsener nun innerlich zerrissen, bricht ein Lebensmodell auseinander, das einst als stabil galt.
Am Ende wird Kim, ob für immer ist nicht klar, nach Kambodscha reisen und nach seinem Bruder suchen. Man kann seine Kindheit nicht einfach beiseite schieben, denken, es gäbe keine Wurzeln.
Sehr aktuell wirkt dieser Roman, der die Befindlichkeiten der heutigen Zeit aufnimmt und Fragen aufwirft, die nicht nur Menschen beschäftigt, die ihre Heimat, aus welchen Gründen auch immer, aufgeben mussten.
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