Lawrence Osborne: Welch schöne Tiere wir sind, Aus dem Englischen von Stephan Kleiner, Piper Verlag, München 2019, 335 Seiten, €22,00, 978-3-492-05926-8
„Er blieb also für sich, zählte die Minuten und versuchte zu vergessen, was gerade passiert war, zehn oder fünfzehn Sekunden der Gewalt, die er nicht vorausgeahnt hatte und die so unerwartet über ihn gekommen waren, dass er danach nur hatte die Tür schließen und davonrennen können.“
Die Sonne flirrt auf der griechischen Insel Hydra und die Hitze treibt die Urlauber in die Tavernen oder an den Strand. Auch die New Yorker Familie Haldane ergeht es nicht anders. Sam Haldane lernt so Naomi Codrington kennen. Die junge Engländerin aus London kennt diese Insel seit Kindertagen, denn ihre Eltern hatten schon zu günstigen Zeiten die Villa auf den Hügeln gekauft.
Gelangweilt, sorglos und immer mit genug Geld für Drogen und Drinks ausgestattet, verbringen die Frauen, beide Anfang zwanzig, ihre Tage gemeinsam. Die ziemlich einsame Naomi erzählt von den Konflikten mit ihrem Vater, einem steinreichen Kunsthändler und ihrer Stiefmutter Phaine, die sie nicht ausstehen kann, da sie ein Snob ist. Nicht nur einmal und im Scherz erwähnt Naomi, dass sie sich den Tod der Eltern ausmalt. Als unfähige Anwältin hat sie fristlos entlassen ihren Job verloren und nun wollte sie beim Vater ihre Wunden lecken, aber dieser überhäuft sie nur mit Vorwürfen. Nur Carissa, das langjährige unterwürfige Hausmädchen, umsorgt Naomi mit ihren Aufmerksamkeiten. Wie seltsam das Verhältnis zwischen Vater und Tochter zu sein scheint, wird deutlich, als Jimmie Codrington seinen langjährigen Freund und Privatdetektiv Naomis Konten prüfen lässt.
Als Naomi und Sam, beide nicht gerade sympathisch und irgendwie undurchsichtig, einen gestrandeten jungen Syrer namens Faoud, offenbar einen Geflüchteten aus der Türkei, entdecken, regt sich Naomis nicht ganz selbstloses Helfersyndrom. Sam betrachtet Naomis Unterstützung für den Fremden mit einer gehörigen Portion Misstrauen.
Wie in einem Patricia Highsmith Roman braut sich nun etwas Unerwartetes zusammen. Naomi glaubt, in Faoud einen vertrauenswürdigen ebenbürtigen Mann gefunden zu haben. Er spricht ein ausgezeichnetes Englisch und seine Familie scheint wohlhabend gewesen zu sein. Sie fühlt sich als Retterin und auf einmal machtvoll und lebendig.
Immer wieder wechselt der englische Autor Lawrence Osborne als personaler Erzähler die Blickwinkel. Mal betrachtet man die Geschehnisse aus der Sicht von Naomi, deren innere Abhängigkeit von den Eltern und ihrer Zuwendung erschüttert, mal ist es Sam, dann wieder Faoud oder Carissa.
Naomi plant nun ohne Sam das weitere Vorgehen. Wie kann sie Faoud aufs Festland bringen? Könnte sie ihm einfach Geld zustecken und verschwinden? Faoud ist kein einfacher Mann, das versteht Sam sofort.
„Als er sie ansah, lagen keine Fügsamkeit und kein Zweifel in seinem Blick. Er schien zu wissen, was er betrachtete, und es war kein nachsichtiges Wissen.“
Naomis perfider Plan schreckt Faoud zuerst zurück, immerhin erwartet sie von ihm, dass er die Villa ihres Vaters ausraubt. Ihre Motive dabei bleiben im Ungewissen, zumal sie dem neuen Freund ankündigt, dass der Vater bestens versichert sei. Carissa wird eingeweiht, damit sie Faoud in die Villa lässt, während der Vater und die Stiefmutter selig schlafen.
Aber alles kommt völlig anders und aus dem Einbruch wird ein Doppelmord. Naomi, Sam, Carissa und Faoud sind darin verstrickt und werden an den Folgen der brutalen Tat partizipieren oder untergehen.
Psychologisch genau und absolut spannend führt Lawrence Osborne den Leser über eine beliebte, nicht allzu große Insel, die für Griechen längst nicht mehr bezahlbar ist. Atmosphärisch dicht und sprachlich herausragend verfolgt man diese Geschichte über Rache und Schuld, über Schicksal und Untergang.
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