Toni Morrison: Gott, hilf dem Kind, Aus dem Englischen von Thomas Piltz, Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 2017, 208 Seiten, €19,95, 978-3-498-04531-9
„Ich war keine schlechte Mutter, glaubt mir, aber vielleicht habe ich meinem einzigen Kind ein paar schmerzhafte Dinge zugemutet, weil ich es schützen musste. Weil ich musste. Weil Hautfarbe eben nicht gleich Hautfarbe ist. Erst konnte ich unter all dem Schwarz nicht erkennen, wer sie eigentlich war, und konnte sie nicht einfach liebhaben. Aber ich liebe sie. Ich glaube, sie versteht das jetzt. Glaube ich jedenfalls.“
Luna Ann Bridewells Mutter Sweetness, deren Haut zwar dunkel ist aber nicht zu dunkel, hofft, dass ihr pechschwarzes Kind, als es in den 1990er Jahren geboren wird, nicht gedemütigt wird. Sweetness erzieht ihre Tochter hartherzig streng. Sie selbst stammt aus einer Dienstbotenfamilie, deren Angehörige den Weißen in der Badewanne durchaus den Rücken schrubben mussten, aber dieselbe Bibel zu berühren wie ihre farbigen Diener, das kam für die Dienstherren nicht in Frage. Sweetness hat in ihrer Kindheit und Jugend gelernt, mit Diskriminierung und Rassismus umzugehen. Erstaunlich ist, dass die Mutter sich für ihr Kind schämt und auch der Vater das Kind nicht annehmen kann. Das Kind ist Sweetness peinlich, sie berührt es nicht gern, sie straft das brave Mädchen mit Lieblosigkeit und Distanz. Zwar schickt der Vater, der die Familie verlassen hat, Geld, aber das Leben der beiden Frauen ist nicht einfach. Lula Ann wird sich später Bride nennen, sie arbeitet als erfolgreiche kreative Geschäftsfrau in der Kosmetikindustrie und sie wird sich strahlend Weiß kleiden, wie eine Braut. Niemand schaut sie mit Abscheu an, so wie sie es angeblich als Kind erfahren musste. Jetzt ist sie ein Hingucker, eine reiche, attraktive Frau, deren Freund Booker, ebenfalls geprägt durch ein traumatisches Erlebnis, sie von heute auf morgen mit einem demütigenden Satz verlassen hat.
„Du bist nicht die Frau, die ich will.“
Ihn wird sie suchen. Seitdem Booker sie verlassen hat, verliert sie nicht nur an Gewicht. Ihre Periode bleibt aus, ihre Brüste verschwinden. Aus Bride wird wieder Lula Ann, aus der stolzen jungen Frau das verletzliche kleine Mädchen. Aber außer ihr scheint das niemand zu bemerken. Drastisch liefert sich die junge Frau einer Kindheitserinnerung aus, die voller Gewalt durch ihre ehemalige Erzieherin Sofia in ihr Leben zurückkehrt.
Erneut thematisiert die über 80-jährige Nobelpreisträgerin Toni Morrison in ihrem Roman Ausgrenzung, Rassismus und Frauenschicksale und sie lässt ihre weiblichen Figuren, Sweetness, Bride, ihre Freundin Brooklyn, das Mädchen Rain und das Monster Sofia, aus ihren ganz persönlichen Perspektiven erzählen. Entstanden ist eine kraftvolle, dynamische wie verrätselte Erzählung, die in ihrer Verknappung dem Leser so einiges aufbürdet und die man langsam lesen muss, um sie wirklich zu verstehen.
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