Paula Daly: Herzgift, Aus dem Englischen von Eva Bonné, Manhattan Verlag in der Verlagsgruppe Random House, München 2016, 381 Seiten, €14,99, 978-3-442-54736-4
„Und wenn sie eines kann, dann ist es, sich in die Lage eines anderen zu versetzen. Sie sieht den Leuten in den Kopf und versteht es, sie auf das Geschickteste zu manipulieren, bis sie selbst nicht mehr wissen, was wahr ist und was nicht.“
Idyllisch ist die Landschaft im Lake District und besonders gut ausgebucht sind die Hotels, sogar im November. Und das hat seinen Grund, Natty Wainwright arbeitet rund um die Uhr und versucht es jedem Gast, so angenehm wie möglich zu machen.
Allerdings hat sie über die ganze Arbeit, das intensive Putzen, Organisieren und den Stress ihre Ehe vergessen. Zwar liebt sie Sean, aber sie fühlt sich nicht mehr so zu ihm hingezogen. Sie ist die Macherin und er wird eher kritisiert als hofiert. Und dann gibt es immer wieder Streit mit Alice, ihrer sechzehnjährigen Tochter. Als Eve, Nattys beste Freundin, zu Besuch kommt, freut sich Natty ganz besonders, denn mit ihr kann sie alles besprechen und fühlt sich wohl. Kennengelernt haben die beiden sich in Manchester beim Studium. Eve ist Psychologin geworden und Natty hat ihr Studium abgebrochen, ist schwanger geworden, nach Hause gezogen und hat Sean, ihre Jugendliebe, gegen den Willen seiner Eltern, geheiratet. Ein Telefonat unterbricht die Freundinnen. Felicity, die jüngste Tochter von Natty und Sean, ist auf Klassenfahrt in Frankreich und musste sich einer Notoperation unterziehen. Natty fliegt sofort los. Sie weiß, dass Felicity bereits vor der Fahrt unter Magenschmerzen gelitten hat. Natty hatte den Arztbesuch nicht für wichtig gehalten. Doch nun steht das Leben Felicitys durch den Blinddarmdurchbruch auf der Kippe. In dieser schwierigen Zeit bleibt Eve bei der Familie und fliegt nicht in die USA zurück, wo sie eine gutgehende Praxis hat. Sie erkennt intuitiv, wo die Schwachstellen in dieser Ehe sind und sie verführt, und hier kommen dem Leser erste Zweifel an der Integrität Eves, den sexuell ausgehungerten Sean und zieht auch Alice auf ihre Seite.
Als Natty mit der immer noch schwachen Felicity zu Hause ankommt, sieht sie in Seans Gesicht sofort das schlechte Gewissen. Eve und und der völlig schwanzgesteuerte Sean zeigen sich nun aller Welt als Liebespaar und Natty ist die betrogene, bemitleidenswerte Ehefrau, nicht angenehm in einem kleinen Ort. Aus den einst so dicken Freundinnen werden nun erbitterte Rivalinnen.
Paula Daly erzählt ihren spannenden Plot aus der Sicht von Natty und Eve. Beide haben Geheimnisse, die sie am liebsten für immer verschweigen würden. Als Natty aus ihrem Haus und ihrer doch geliebten Arbeit verdrängt wird, beginnt sie Auskünfte über Eve einzuholen. Allerdings rammt sie vorher ihr Auto und verletzt sie angeblich im Gesicht. DC Joanne Aspinall muss Natty mit auf die Wache nehmen, denn sie ist bereits vorbestraft. Allerdings liegt ihr Vergehen bereits viele Jahre zurück.
Und nicht nur das, wissen die Kinder von Natty nicht.
Natty lebt nun bei ihrem sympathischen Vater, der vom Pflegedienst betreut wird.
Nach und nach stellt sich nun heraus, das Eve immer wieder Männer verführt hat, um an ihr Geld zu kommen. Sie ist als Dr. Eve Dalladay nicht aktenkundig, weder in Großbritannien noch den USA, sie war auch nie mit einem Brett Dalladay verheiratet und sie hat auch nie ihr Studium beendet.
Und dann findet Natty, die bereits an ihrer Menschenkenntnis verzweifelt und deren Gedankenkarussell nicht mehr stillsteht, die Mutter von Eve, die angeblich schon längst verstorben ist.
Eve jedoch schafft es in jeder Situation, Natty als geistesgestört und gefährlich hinzustellen. Sean ist blind vor Liebe, doch die Mädchen zweifeln langsam an Eves Geschichten und Kenntnisse.
Als Eve jedoch herausfindet, dass Natty ihre Mutter getroffen hat und ihr wahres Geheimnis nun kennt, bricht ihr gesamte Lügengebäude zusammen und die Handlung eskaliert.
Psychologisch fein durchdacht ist dieser Thriller, dessen Figuren von der Betrügerin über die unerträgliche Schwiegermutter bis hin zur problembeladenen Ermittlerin lebensecht und glaubwürdig gezeichnet sind. Schnell zieht die britische Autorin den Leser in ihren Thriller hinein, der immer neue Türen in menschliche Abgründe öffnet und zeigt, niemand hat die Bilderbuchfamilie, die er sich wünscht. Und immer wieder schwingt die Frage mit, wie kann man sich so in einem scheinbar vertrauten Menschen irren, ob nun in der Freundin oder im Ehemann.
Leider wirkt der Titel „Herzgift“ leicht reißerisch und spiegelt die Ironie des Originaltitels „Keep your friends close“ nicht wider.
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