Pierre Chazal: So etwas wie Familie, Aus dem Französischen von Wolfgang Gösweiner, Deuticke Verlag, München 2015, 240 Seiten, €18,90, 978-3-552-06297-9

„Nun waren wir natürlich kein richtiger Vater, keine richtige Mutter und kein richtiger Sohn. Aber das kümmerte uns nicht.“

Dass die biologischen Väter nicht unbedingt die besten sein müssen, das weiß Pierre, der Ich-Erzähler dieser Geschichte, aus eigener Erfahrung. Er hätte nicht im Traum gedacht, dass er über Nacht ebenfalls Vater werden könnte, aber Hélène kann er einfach nichts abschlagen, zumal sie sich auch noch das Leben genommen hat. In ihrem letzten Brief bittet sie ihn um diesen einen Gefallen. Er soll die Verantwortung für ihren Sohn Marcus übernehmen. Allerdings ist Marcus, nicht wie das Cover des Buches suggeriert, ein Kleinkind, sondern acht Jahre alt. Was er bei einer drogenabhängigen Mutter bereits erlebt hat, will niemand so genau wissen. Sein leiblicher Vater, Fredo, ist in der Versenkung verschwunden. Zu Beginn ist der Junge still und verschlossen, aber er gewöhnt sich schnell an den „Patenonkel“, wie er Pierre manchmal nennt. Von finanziellen Engpässen und einigen Sorgen abgesehen kommt die Kleinfamilie ganz gut zurecht. Das Jugendamt nervt nicht und so kommt Marcus in die Klasse von Céline, der Tochter von Nicole und Bob, guten Freunden von Pierre. Die Kinder freunden sich an und die Familien helfen sich gegenseitig, denn Pierre muss als Gemüsehändler oft früh raus. Die Tage vergehen, es geschehen angenehme Dinge und tragische, denn Francis, Pierres Ersatzvater stirbt.
Nach und nach verarbeitet Marcus das Vergangene, allerdings wird er in der Schule aggressiv, wenn er auf seine Eltern angesprochen wird.

Und dann gesellt sich Fabienne, eine enge Freundin von Hélène, nach ihrer Entziehungskur zu Vater und Sohn und komplettiert die Familie. Merkwürdig ist, dass Pierres Vater, der den Sohn als Kind geschlagen hat, nie Marcus sehen will.
Und dann geschieht etwas Unglaubliches, Pierre landet in Untersuchungshaft.
Er behauptet, es sei ein Unfall gewesen. Offensichtlich ist Pierres Vater bei einer Rangelei mit dem Sohn durch die defekte Balkonbrüstung aus dem siebten Stock gefallen.
War es ein geplanter Mord oder wirklich nur eine Verkettung von Zufällen?
Pierres Wahlfamilie hält zu ihm und trotzdem sind alle Erlebnisse in der Haftanstalt für den jungen Mann eine Alptraum. Er beginnt alles aufzuschreiben.
Mit viel Sympathie verfolgt man Pierres Schicksal und wünscht ihm nur das beste in seiner neuen Vaterrolle, denn er will alles anders machen als sein eigener Vater. Dass dieser ihm dann, sozusagen aus der Hölle, alles verderben wird, ist mehr als ungerecht.