Tessa Hadley: Zwei und zwei, Aus dem Englischen von Gertraude Krueger, Kampa Verlag, Zürich 2020, 317 Seiten, €16,00, 978-3-311-10024-9
„Sie und Alex hatten ein verbotenes Terrain betreten, wo ihnen alle Wege versperrt waren. Und nun hatte Lydia, da sie mit Christine gesprochen hatte, ihnen auch den letzten Rettungspfad abgeschnitten; sie konnten nicht mehr dahin zurück, wie es einst gewesen war.“
Alles beginnt mit einem Paukenschlag, denn Zachary, am Morgen noch fit und fröhlich, fällt in seiner Londoner Galerie tot zu Boden. Seine Frau Lydia ruft ihre langjährige und vertraute Freundin Christine an und erzählt ihr ohne Umschweife vom überraschenden Ableben des Ehemannes. Sie will sogar ihre Tochter Grace, die eine Ausbildung zur Bildhauerin in Glasgow absolviert, anrufen, aber Alex, Christines Mann, kann das noch verhindern und fährt selbst zu Grace, die so sehr an ihrem Vater gehangen hat.
In Rückblenden erzählt Tessa Hadley von der Freundschaft der beiden Ehepaare, die gemeinsam in den Urlaub gefahren sind, fast zeitgleich Eltern von Töchtern wurden und sich eng verbunden fühlten. Alex, Christine und Lydia schildern aus ihren Perspektiven, wie sie die Geschehnisse beurteilen und damit klarkommen.
Seit der Schulzeit kennen sich die sehr unterschiedlichen Freundinnen: Lydia, die launenhafte, unordentliche, die gern schauspielert und Christine, die in sich gekehrte, doch innerlich geordnete. Lydia kann mit Worten verletzen, aber Christine stört dies kaum. Auch Alex und Zachary sind Freunde. Als sich Lydia, ohne große Bedenken unsterblich in den bereits mit Juliet verheirateten Alex, ihren damaligen Französischlehrer verliebt, ahnt Christine nicht, dass sie seine zweite Ehefrau wird. Alex fühlt sich von der Ehe und Juliet eingeengt, liebt seinen Sohn Sandy, kann aber nicht viel mit ihm anfangen. Als Lyriker setzt er sich nicht durch und lässt sich zum Grundschullehrer ausbilden. Zachary stammt aus einer reichen jüdischen Familie. Ihn fasziniert die unberechenbare, attraktive Lydia, die ihn heiraten wird.
Eigentlich finden sich diejenigen, die nicht zueinander passen und doch funktionieren die Ehe über eine Zeit ganz gut. Christine wird ihre Doktorarbeit nicht abschließen, sondern einen künstlerischen Weg einschlagen. Zachary ist von ihren Arbeiten begeistert, auch wenn sie nie große Bedeutung erlangen werden. Führen Lydia und Zachary ein finanziell luxuriöses Leben, so kommen Alex und Christine gerade mal so über die Runden. Alex würde jedoch nie Geld von seinem Freund annehmen.
Als Lydia nach Zacharys Tod bei den Freunden vorübergehend einzieht, wirft sie nur so mit den teuren Klamotten um sich. Christine spürt schon etwas Neid, wenn sie sieht, wie unbedarft die Freundin lebt, wie großzügig Zachary sie einst beschenkte. Er kaufte sich eine Galerie und wohnte auch in unmittelbarer Nähe. Eigentlich sollten Christines Arbeiten zur Eröffnung gezeigt werden, aber die Galerieleiterin unterband dies und stellt lieber einen bekannten Künstler aus. Christine umging diese Schmach, indem sie auch Zachary mit einer Lüge aus der Klemme half.
Alex hatte sich in der Freundschaftskonstellation den Nimbus des Undurchschaubaren und Schwierigen zugelegt. Bei einem gemeinsamen Urlaub in Venedig stritten sich Alex und Christine zum ersten Mal vor ihren Freunden, unterdrückten ihren gegenseitigen Hass aufeinander kaum noch.
Immer wieder umkreist Tessa Hadley die Fragen des Zusammenlebens in einer Ehe. Sie beschreibt, wie sehr sich Eheleute einengen, keine Freiräume schaffen und doch auch an den finanziellen Gegebenheiten scheitern können. Lydia meint, sie sei ohne Zachary nichts. Sie würde sich nur über ihn als Person definieren. Um diese Leerstelle auszufüllen, greift sie nach dem nächstbesten Mann.
Inzwischen weiß der Leser, dass die Ehe von Christine und Alex nicht sonderlich glücklich ist.
„Im Übrigen redeten sie auch nicht oft so vertraulich miteinander, jetzt nicht mehr.“
Als Alex nach einiger Zeit in der Galerie vorbeischaut und auch Lydia besucht, landet er mit ihr im Bett. Er fühlt sich wieder als Mann begehrt, ahnt aber, was er zerstören wird. Er würde gern zwischen beiden Frauen hin- und herpendeln, was allerdings nicht möglich ist.
In einer literarisch anspruchsvollen dynamischen Sprache voller bildlicher Vergleiche verfolgt die englische Autorin Tessa Hadley keine Wahlverwandtschaften, sondern eine Dreierbeziehung, die nicht funktionieren kann. Dabei verhandelt sie über einen langen Zeitraum Lebensentwürfe, Erwartungen und Enttäuschungen. Zwischen den Zeilen baut sich der Leser ein eigenes Bild von den Leben der Figuren, teilt den einzelnen seine Sympathien zu und versucht sich in die Psyche der handelnden Personen einzufühlen. Und die Autorin verhandelt viele Fragen, u.a. was ist Kunst? Alex‘ Vater ein Emigrant aus der CSSR, 1968, plagte sich bei seinem Schreiben. Auch Alex gibt die Lyrik auf. Für Zachary war Kunst gleich Begeisterung. Christine kann nach Zacharys Tod nicht mehr arbeiten, verschließt ihr Atelier vor sich selbst. Und kann es erst öffnen als sie mit sich im Reinen ist. Bleibt die Frage, wer das schultern muss.