Saskia Sarginson: Zertrennlich, Aus dem Englischen von Jessika Komina und Sandra Knuffinke, script5, Loewe Verlag, Bindlach 2014, 415 Seiten, €18,95, 978-3-8390-0152-3
„Es ist so lange her. Sie waren Kinder. Es sollte keine Rolle spielen, aber das tut es. Nach diesem Kuss fing alles an schiefzugehen. Violas Sturz aus dem Turm, die Verlobung der Mutter, die katastrophale Nacht im Wald. Alles fiel in sich zusammen, alles war zerstört.“
Die Zwillinge Viola und Isolte Love sind in ihrer Kindheit unzertrennlich. Als Jugendliche und Erwachsene jedoch gehen ihre Wege schmerzlich auseinander und niemand weiß genau, warum die beiden Schwestern sich innerlich so entzweit haben.
Zeitversetzt erzählt die englische Autorin Saskia Sarginson die tragische Geschichte der beiden Frauen. Sie blickt in das Jahr als die beiden Zwölfjährige sind und dann beschreibt sie ihr Leben gute 15 Jahre später.
Wild und ohne Angst sollen die Mädchen aufwachsen und das unterstützt Rose, ihre freiheitsliebende Mutter, indem sie mit den Kindern von Wales aus in den Südosten Englands zieht, fort von der Kommune. Nur sie drei sollen zusammenleben. Mit ein bisschen Geld ausgestattet und als Selbstversorgerin bringt die Hippie-Mutter die Kinder durch.
Genauso ungestüm und verwegen wie die Mädchen sind die Zwillinge John und Michael Cathpole, die im Ort leben. Oft vom Vater verprügelt, suchen die gleichaltrigen Jungen eher Zuflucht in der Natur und bei den Mädchen. Etwas Animalisches geht von Michael aus, er riecht nach einer Mischung aus Baumrinde, Erde und Schweiß. John und Viola, die eher die stilleren Kinder sind, fühlen sich zueinander hingezogen und halten ihre tiefe Zuneigung geheim. Als Frank und seine siebenjährige Tochter Polly in das Leben von Rose treten, sind die Zwillinge mehr als nur ablehnend, sie sind eifersüchtig, boshaft und wie Kinder oft sind, egoistisch. Frank, von Beruf Mathelehrer, kritisiert die Freundschaft der Mädchen mit den Catchpoles, die einfach einen schlechten Ruf haben. Viola und Isolte können die pausenlos plappernde Polly nicht ausstehen. Zu gern möchten sie die Heirat ihrer Mutter, die finanziell am Ende ist und einsam, mit dem langweiligen, wabbeligen Frank verhindern.
Immer wieder zwischen den Zeiten wechselnd, sieht man Isolte dann als erfolgreiche Moderedakteurin in London ihrem Beruf nachgehen. Sie lebt in einer schicken Wohnung in einer angesehenen Gegend, liebt den wohlhabenden Fotografen Ben und ist doch irgendwie verschlossen, nicht zugänglich, nicht glücklich. Viola hingegen liegt wiedermal im Krankenhaus. Sie ist dabei sich aufzulösen, sich zu Tode zu hungern, einfach zu verschwinden. Isolte sorgt sich, besucht sie zwar, aber sie findet keinen Zugang mehr zu ihrer Schwester. Ihre gemeinsame Vergangenheit und das, was geschehen ist, lastet auf beiden schwer. Isolte hat jedoch alles Erlebte durch Anpassung, Fleiß und Aktionismus verdrängt, Viola hingegen versucht sich selbst zu zerstören, weil sie sich nicht lieben kann. Geliebt hat sie immer nur John, dem sie sogar nach der Trennung Briefe schrieb und nie abschickte. Nachdem Rose sich nach der abgesagten Hochzeit volltrunken das Leben nimmt, verlassen Viola und Isolte ihre Waldidylle am Meer. Ihre Kindheit endet abrupt, denn sie haben sich schuldig gemacht, obwohl sie als Kinder nicht ahnen konnten, dass soetwas geschehen könnte. Fortan wohnen sie bei der um zehn Jahre älteren Schwester von Rose, Hetty. Mit dem Umzug in die Stadt ändert sich vieles. Die „unerbittliche Gleichung der Zweisamkeit“ zwischen den Mädchen löst sich auf, denn Isolte sucht sich ihren eigenen Weg.
Als Isolte aus ihrem perfekten Berufsleben plötzlich „freigesetzt“ wird, spürt sie, dass es an der Zeit ist, endlich zurückzuschauen. Sie sucht im Ort ihrer Kindheit nach John und Michael und sie wird eine bestürzende, aber auch befreiende Entdeckung für sich und Viola machen.
Saskia Sarginson hat einen aufregenden Roman, der nach dem Lesen noch lang nachwirkt, geschrieben. Gekonnt führt sie sehr unterschiedliche Themen zusammen. Es geht um das Verhältnis von Zwillingen, zwischen denen eine ungeheure Anziehung, Konkurrenz, Vertrautheit, aber auch Abhängigkeit besteht. Und es geht um Schuld und vor allem darum, sich selbst zu verzeihen.
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