Emily Gale: Willkommen in meinem Leben, Aus dem Englischen von Birgit Niehaus, Chicken House, Hamburg 2011, 349 Seiten, €13,95, 978-3-551-52012-8

„Er ist der Verkäufer und ich bin der Sack schäbiger Kochäpfel!“\r\n

Wenn Kassidys Vertreter Vater in „ Obenauf-Stimmung“ ist, dann bedeutet das nichts Gutes für das 15-jährige Mädchen. Sie ahnt, dass er dann wieder einen verrückten Plan ausheckt, um ihre angeblichen Talente zu vermarkten. Doch wie wehrte man sich gegen einen überdrehten Menschen, dessen Liebe und Bewunderung? Damit Kass‘ Vater nicht wieder in seine depressive Stimmung verfällt, macht die Tochter gute Miene zum bösen Spiel. Kass‘ Vater glaubt, dass seine Tochter beim X-Faktor-Casting antreten kann und natürlich gewinnt. Dass sie nicht in der Lage ist, eine Melodie zu halten, scheint ihn nicht zu stören. Die Pleite ist vorprogrammiert. Kass erinnert sich an mehrere äußerst peinliche Momente, in denen ihr Vater sie in eine Rolle gezwängt hat, in der sie nur kläglich scheitern konnte.

Die Mediziner nennen die Krankheit des Vaters Zyklothymia, er jedoch will von einer Behandlung nichts wissen. Wenn die Panikattacken beginnen und die „Grauen-Trainingsanzug-Monate“ folgen leidet die gesamte, überforderte Familie. Auf ihre Mutter kann Kass nicht zählen, denn sie ist froh, wenn der Vater „ein Projekt“ oder eher „einen Horrorplan zur Zerstörung von Kass‘ Leben“ hat, auf das er sich stürzen kann. Kass jüngerer Bruder Raff ist sowieso aus dem Spiel, denn Kass‘ Vater konzentriert sich immer nur auf sein „Lieblingskind“. Im Schatten all des Familienchaos frönt Raff jedoch seinen kriminellen Aktivitäten und das ahnt nur die Schwester. Kass heult sich bei ihrer Freundin Ivy aus. Doch auch bei Ivy geht so einiges drunter und drüber. Als Therapeutinnentochter selbst in Therapie weil die Eltern sich trennen, wirft sie nur so mit pseudo-psychologischen Tipps um sich. Kass zweite enge Freundin Char leidet unter ihrem strengen Vater und ist irgendwie von der Rolle, weil sie seit vier Jahren in ihren Traumboy verliebt ist, der sie nie ansieht. Dieser Cassian ist allerdings der große Bruder von Raffs bestem Freund und steht eines Tages in Kass Wohnung. Ohne zu ahnen, wer der Traumboy ist, erzählt sie Char von dieser Begegnung und plötzlich wendet sich alle Sympathie Chars gegen Kass. Keine Frage, alle Leute beginnen zu spinnen. Und als Kass erfährt, dass ihr Vater hinter ihrem Rücken zum Anwärmen sozusagen in der Schule eine Disco mit Karaoke-Singen organisiert, dreht sie langsam durch.

Allerdings ist Cassian als Türsteher engagiert, eine Chance Char mit ihm zu verkuppeln. Dass Cassian dann Kass küsst und körperlich bedrängt, schockiert nicht nur Kass, sondern auch Char. Und dann kommt auch noch heraus, dass Kass‘ Mutter ein Verhältnis mit Chars Langweiler-Vater hat. Chaos pur!

In einem amüsant ironischen Erzählton berichtet Kass von ihren nicht enden wollenden Problemen mit den Eltern, mit Raff und mit den beiden Freundinnen, die sie kennt, seit sie denken kann. Der bedingungslose Glauben ihres Vaters an ihre Talente wirkt im ersten Moment sehr komisch, im zweiten jedoch eher tragisch und erdrückend. Kass möchte einfach so akzeptiert werden wie sie ist und nicht als Supertalent angesehen werden, dass sie nie sein wird. Innerlich zerrissen und verzweifelt schwangt Kass zwischen der vorprogrammierten Blamage und dem Willen, dem Vater etwas Gutes zu tun. Aber Kass muss sich gar nicht gegen ihren Vater und seine extremen Stimmungsschwankungen zur Wehr setzen, ihre Freundinnen und der unbeholfene Cassian setzen eine emotionale Lawine in Gang, die Kass von allen Casting-Shows fernhält. Hochunterhaltsamer, witziger, wie auch nachdenklich stimmender Lesestoff über eine Familie, die endlich anfangen muss, sich ihren Problemen zu stellen.