Elizabeth Poliner: Wie der Atem in uns, Aus dem Englischen von Maja Ueberle-Pfaff, Dumont Buchverlag, Köln 2016, 428 Seiten, €23,00, 978-3-8321-9817-6
„Wir zählten zu den vielen jüdischen Familien aus ganz Connecticut, die zu diesem Flecken strömten. Wir hockten alle aufeinander, denn 1948 gab es sehr viele Orte, zu denen Juden immer noch keinen Zutritt hatten, sehr viele offizielle und inoffizielle Vorschriften, die uns von bestimmten Wohngegenden, Urlaubsorten und Klubs fernhielten, das heißt fast von überall. Der Genozid in Europa sollte das erst langsam ändern. Doch hier, in diesem Nest, durften wir sein.“
Die jüdische Großeltern Riesel und Maks Leibritsky, sie stammten aus Russland und waren gute 55 Jahre verheiratet, vermachen den drei Schwestern Ada, Vivie und Bec ihr Sommerhaus am Strand von Woodmont in Connecticut. Mit Kind und Kegel reisen diese nun Sommer für Sommer acht Wochen lang an und genießen die Zeit.
Molly ist die Tochter von Ada und im entscheidenden Jahr 1948 zwölf Jahre alt. Sie ist die Erzählerin, die mehr als 50 Jahre später, sich an die Ereignisse in der Familie erinnert. Sie ist allein geblieben und hat das Haus von Bec geerbt. Hier öffnet sie nach anfänglichen Schwierigkeiten die Schränke und erinnert sich an den Sommer 1948 und seine Folgen. Schnell wird klar, was geschehen ist. Ihr acht Jahre alter Bruder Davy wurde vom Eishändler Sal Luccino überfahren, ein tragischer Unfall, der die Familie in Depressionen und Verzweiflung stürzt.
Detailreich und in Zeitsprüngen erzählt die amerikanische Autorin in ihrem ersten Roman von der Großfamilie, ihren Verlusten, aber auch ganz alltäglichen Geschehnissen. So spannte einst die lebensfrohe Ada ihrer Schwester den Verlobten aus und fünf Jahre lang herrschte zwischen den Schwestern Funkstille. Bec ist jahrelang mit ihrer Jugendliebe Tyler verlobt, der auf die Universität geht und ihr dann mitteilt, dass er eigentlich eine gebildete Frau heiraten möchte. Da ist Nina, die intelligente Tochter von Vivie, deren Vater ihr immer wieder dicke Bücher mitbringt, die diese auch gewissenhaft liest. Später wird sie eine Professorinnenlaufbahn in Berkley antreten. Mollys Gedankenstrom gleitet von einer Person ihrer Familie zur anderen. Tiefgründig erzählt sie von den unterschiedlichen Lebenswegen der einzelnen Figuren, ihren Entscheidungen, Schwächen und Stärken. Alles ist in gewisser Weise mit dem kleinen Bruders Davy verknüpft und jeder wird auf seine Weise mit seinem Tod fertig, auch Davys Mutter Ada.
„Sie war nicht glücklich, so einfach war es nicht. Aber sie lebte wieder, sie stand früh auf, interessierte sich für die Organisation ihres Haushalts, schenkte gelegentlich meinem Vater ein trauriges Lächeln und gönnte sich sogar zuweilen einen Augenblick, in dem sie etwas tat, was sie früher oft getan und beinahe vergessen hatte: Sie nahm einen tiefen Atemzug.“
Bec hat das Bild, das Davy in seinem letzten Sommer gemalt hat, aufgehoben und immer wenn sie ihren Schrank geöffnet hat, angesehen. Steht die Familiengeschichte im Vordergrund, sie schimmert durch den szenisch geschriebenen Text aber auch die Zeitgeschichte der Juden in den USA und Israel.
Elizabeth Poliner hat ein ausuferndes, wie feinfühliges Familienporträt verfasst, das sich, wenn man sich darauf einlässt, nach dem Lesen Spuren hinterlässt. Zum einen muss die Familie den Tod eines Kindes verkraften, zum anderen bietet dieser Roman einen Blick in eine vergangene Zeit, ihren Ritualen, moralischen Vorstellungen und Verhaltenskodexen, die gar nicht so weit entfernt ist.
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